08.11.2025

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Folge 29-23 vom 19. Juli 2023 / Vertrag von Lausanne / Wie die Türkei ihre heutigen Grenzen erhielt / Vor 100 Jahren gelang dem Verlierer des Ersten Weltkrieges die Revision seines Pariser Vorortvertrags

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-23 vom 19. Juli 2023

Vertrag von Lausanne
Wie die Türkei ihre heutigen Grenzen erhielt
Vor 100 Jahren gelang dem Verlierer des Ersten Weltkrieges die Revision seines Pariser Vorortvertrags

Nach dem Ersten Weltkrieg bekam das Osmanische Reich wie die anderen Mittelmächte und Kriegsverlierer von den siegreichen alliierten und assoziierten Mächten einen harten Siegfrieden diktiert. Der 1920 in Sèvres unterzeichnete fünfte und letzte der sogenannten Pariser Vorortverträge reduzierte das Territorium des Osmanischen Reiches auf das eigentliche türkische Siedlungsgebiet in Anatolien. Alle arabischen, griechischen und armenischen Siedlungsgebiete des einstigen Osmanischen Reiches gingen verloren. Griechenland erhielt Ostthrakien zugesprochen und reichte fortan bis zu den Toren Konstantinopels. In Smyrna, dem heutigen Izmir, erhielten die Griechen sogar einen Fußbreit auf dem ägäischen Festland. Den Kurden wurde ein eigener Staat in Ostanatolien in Aussicht gestellt. 

Allerdings hatten die Sieger des Ersten Weltkrieges in Sèvres einen Frieden mit einem Regime und einem Staat geschlossen, dessen Tage gezählt waren. Die Große Nationalversammlung in Ankara unter Mustafa Kemal Pascha, besser bekannt als Kemal Atatürk, stellte die Macht des Verhandlungspartners der Alliierten, des letzten osmanischen Sultans Mehmed VI., infrage und ratifizierte den Frieden nicht. Die Vertreter des Sultans, die den Frieden unterzeichnet hatten, wurden neun Tage nach dessen Unterzeichnung von Ankara zu Vaterlandsverrätern erklärt. Die Türken waren damit die einzigen Kriegsverlierer, die zumindest teilweise die Anerkennung des ihnen zugedachten Pariser Vorortvertrags verweigerten. Und sie hatten damit Erfolg.

Bereits im Jahr der Unterzeichnung des Friedens begann die türkische Rückeroberung der verlorenen Gebiete. Die Siegermächte Großbritannien und Frankreich sahen der türkischen Revision des von ihnen unterzeichneten Friedens sowie der Vertreibung der Griechen und Armenier aus ihren jahrhundertealten Siedlungsgebieten praktisch tatenlos zu. 

Im Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 wurde Sèvres aufgekündigt. Die wenige Monate später, am 29. Oktober 1923, als Nachfolgestaat des 1922 untergegangenen Osmanischen Reiches Reiches von Mustafa ausgerufene Republik Türkei erhielt Ostanatolien, Kilikien, die Ägäisküste und Ostthrakien zugesprochen. Von den Rechten der Armenier und Kurden auf einen eigenen Staat war keine Rede mehr. Mustafa stimmte nachträglich der zu Beginn des Ersten Weltkrieges von den Briten proklamierten Annexion Zyperns zu. Eine Kriegsschuld oder gar eine Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern hat die Türkei – anders als der letzte osmanische Sultan Mehmed VI., dessen Macht allerdings 1922 endete – bis heute nicht anerkannt. Von einem kurdischen Staat auf seinem Territorium oder am Rande will sie auch heute nichts wissen. Deshalb gibt es seit 30 Jahren einen Bürgerkrieg.

Der Vertrag von Lausanne legalisierte die vollzogenen Umsiedlungen von Griechen und Pontosgriechen aus Ostthrakien, Anatolien und der Küstenregion. Allerdings erhielten die verbliebenen nicht-muslimischen Minderheiten, mit Ausnahme der Assyrer, Bürgerrechte, die sie im Osmanischen Reich nicht besessen hatten. 

Obwohl Mustafa den Vertrag als großen Sieg verkündete, hat sein derzeitiger Nachfolger als Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, bereits mehrmals erklärt, dass er den Vertrag von Lausanne nicht anerkenne. Ihm geht es vor allem um die griechischen Ägäis-Inseln, die in „Rufweite“ der Türkei liegen. Diese Inseln betrachtet er ebenso wie den Festlandsockel vor der Insel Zypern als türkisches Staatsgebiet. Mehrmals eskalierte dieser Konflikt in den letzten Jahren an den Rand eines Waffengangs.

Die Relevanz des Vertrages von Lausanne für die Türkei besteht noch mehr als in der gelungenen Revision des Pariser Vorortvertrags von Sèvres darin, dass die vor 100 Jahren gezogenen Grenzen des Landes mit Ausnahmen heute noch Gültigkeit besitzen. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg überließ Frankreich das im Ersten Weltkrieg vom Osmanischen Reich eroberte Gebiet um die Stadt Alexandrette/İskenderun, in dem die Türken eine relaive Mehrheit bildeten, der Türkei als Preis für dessen Neutralität. Als dreieinhalb Jahrzehnte später Griechenland einen Putsch der Nationalgarde auf Zypern gegen Präsident Erzbischof Makarios III. unterstützte mit dem Ziel, die Insel anzugliedern, besetzte die Türkei den Norden des Eilands. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erklärte zwar die Proklamation der Türkischen Republik Nordzypern im Jahre 1983 für völkerrechtswidrig, aber die Türken sitzen immer noch dort.

Bob