Welche Erinnerungen steigen nun wohl in ostpreußischen Seglern an ihre damaligen großen Sommerfahrten auf! Ich denke an die Mitglieder aller Seglerclubs an unserer Ostseeküste, in Masuren und im Oberland. Besonders grüße ich die Freunde von „Baltic“ und „Rhe“. Für Segler, Ruderer und Kanufahrer war unsere Heimat ein Eldorado. Mein guter Stern hatte dafür gesorgt, dass ich in Jugendjahren einmal auszureißen mich erkühnte und immerhin, beim Norddeutschen Lloyd angemustert, acht Seereisen als Junge fuhr, drei nach Genua–Batum, drei nach Marseille–Odessa und zwei nach Marseille–Alexandrien. Weil ich mir damals Seefestigkeit erwarb, konnte ich mich dann bei Käpten Klöster (Königsberg, Altstädtische Langgasse), Eigner der prachtvollen eisernen Jacht „Marianne“, die eigentlich mehr schon ein Gaffelschoner war, auf einer siebenwöchigen Ostseefahrt an Bord nützlich machen. „Marianne“ war ein Boot des „Baltic“.
Liebeserklärung für „Marianne“
Ich krame unter dem übermächtigen Zwang der aufsteigenden Erinnerung meine alten Notizen von einer herrlichen Ostseereise mit „Marianne“ hervor. Damals schrieb ich:
„Marianne, wenn du mein Eigen wärst, ich würde dich besuchen in der Woch’, sechs-, siebenmal in der Woch’, sechs- bis siebenmal käme ich für dich durch das Zigeunerlager den Contiene-Weg zum Baltic-Club. Ich bin einer deiner glühendsten Verehrer, für dich wär mir nichts zuviel. Wer hat dich so erlebt wie ich? Nicht einmal dein Herr und Gebieter, der Kaptein Klöster hat dich so stolz und schwanenweiß auf offener See vorbeirauschen gesehen wie ich, als ich im Rigaischen Meerbusen auf eine Rigaer Jacht hinüberkletterte, dich einmal außenbords zu bewundern. Wie kommst du eigentlich zu dem Namen ,Marianne‘? Der Name scheint mir nicht solide genug für dich zu sein. Trotzdem du herrlich schlank bist, du hast gut deine
26 Tons. Es gibt wie immer Nörgler, die dir durchaus etwas Schlechtes nachsagen wollen. Du wärest doch in den Hüften etwas schmäler und in der Schulter etwas breiter, und vielleicht würdest du hoch getakelt noch besser laufen. (Dabei machst du doch bei gutem Wind deine acht bis zehn Knoten). Dann wäre eine Ruderpinne für dich geeigneter als das Rad, das sagen besonders die Schären-Segler, die mit ihren Eintonner-Booten Kunststückchen fahren und Seefahrt nur als Handwerk betrachten.
Anfänglich warst du bei der Ausfahrt noch schläfrig; erst als wir dem ,Weißen Mann‘ an der Pregelmündung die übliche Ehrenbezeigung mit dem Kognak gemacht hatten, bekamst du Lust zu laufen und wurdest so übermütig, dass wir das Großsegel einholen mussten. Aus der Ilskefalle in Pillau konnte ich dich dann friedlich ausruhen sehen.
Wäre ich doch nur beim Anlegen mit dem Fender schneller zur Hand gewesen! Der Schramm an der Seite wäre dir erspart geblieben! Du musst aber zugeben, dass diese Unachtsamkeit auf der ganzen Reise nicht mehr vorgekommen ist. Und ich glaube, dass du überhaupt mit uns, der Mannschaft, zufriedener warst wie der Kapitän, obwohl wir es nicht immer leicht mit dir hatten. Es ist richtig, der Kaptein hatte noch mehr Schneid als wir, und du hast mir oft Leid getan, Marianne, wie er dich ran nahm, und dass er bei der bullrigen See sich entschloss, aus Pillau auszulaufen.
Es war schon toll, Marianne, wie du uns durchgeschaukelt hast, dass selbst das starke, festgezurrte ,Kleidchen‘ mich nicht in der Koje halten konnte! Nachdem ich mich unsanft neben eine Sitzgelegenheit setzte und der Länge nach über den Kartentisch fiel, lernte ich mich festzuhalten. Als du wieder einmal mächtig überholtest, sprang die Tür zur Küche auf: Smutje hielt, festgestemmt zwischen Herd und Anrichte, den Kochtopf mit dem Teewasser über der Feuerung. Der Bootsmann meinte: ,Dat is noch lang keen Storm: Windstärke sieben bis acht, und de Wellen hebben heuchstens fief bit söß Meter!‘“
„Dat is noch lang keen Storm“
Mit solchen Kerlen fährst du gut, Marianne! Kurs Nordost über Brüsterort – Der Wind wurde rauher, nur fierten die Schoten, und mit Brüsterort verloren wir die samländische Küste aus den Augen und hielten direkten Kurs auf Libau. Schon am frühen Morgen kamen die lettische Küste und Libau in Sicht. Ganz überzeugt von deiner Seetüchtigkeit und hungrig durch Arbeit und Seeluft geworden, verdrückte ich mittags zwischen Libau und Gotland eine Riesenportion Klüten und Plumen.
Von Gotland aus hatten wir in den nordischen Gewässern immer ,gode Wind‘. In den hellen Mittsommernächten waren wir wie die Schweden und Finnen festlich gestimmt: den Radioapparat an Deck, hörten wir auch die Königsberger Kinder sommerliche Lieder singen. So war die vierstündige Wache ein Vergnügen. Bei achterlichem Wind gaben wir dir mehr Zeug, setzten Ballen oder Spinnacker, eine ruhige, schöne Fahrt! Nur der Kapitän ließ sich aus dem Niedergang manchmal hören: ,Habt ihr Kurs?‘ – ,Jawohl, Nordost, ein Viertel Ost!‘“
Aus: das Ostpreußenblatt, Nr. 30 vom 25. Juli 1959, Seite 9
Segeln mit der Jacht „Marianne“: Zeichnung von Eduard Bischoff, Foto: OB


