Die Gruppe Wagner, eine russische Privatarmee, welche ab 2014 von dem Putin-Vertrauten Jewgenij Prigoschin aufgestellt wurde, ist derzeit in aller Munde. Sei es wegen ihrer angeblichen Meuterei vom 24. Juni, sei es wegen der nachfolgenden Verlegung der 50.000-Mann-Truppe nach Weißrussland.
Vor diesem Hintergrund geht vollkommen unter, dass momentan noch rund drei Dutzend weitere solcher Privatarmeen in der Russischen Föderation existieren (siehe unten) und die Gruppe Wagner auch nicht die erste war. Beispielsweise besteht die Gruppierung Wölfe des Zaren (Tsarskije Wolki) schon seit dem Jahre 1992.
Dabei sind derartige private Militärunternehmen, die im Russischen „Tschastnaja Woennaja Kompanija“ heißen (TschWK) nach dem Recht ihres Landes eigentlich verboten, denn sie verstoßen im Gegensatz zu den zivilen Wach- und Sicherheitsdiensten gegen die Artikel 208 (Organisation einer illegalen bewaffneten Formation) und 359 (Söldnertätigkeit) des Strafgesetzbuches.
Allerdings unternahm der Staat bislang nichts gegen diese wie Pilze aus dem Boden schießenden Gruppierungen.
Vielmehr meinte Präsident Wladimir Putin, die TschWK könnten ein nützliches „Instrument zur Verwirklichung nationaler Interessen ohne die direkte Beteiligung des Staates“ darstellen. Deshalb sind sie oft auch sehr viel weniger privat, als es von außen scheint.
Russischer Staat spart Geld damit
In der Mehrzahl werden die Militärunternehmen vom Verteidigungsministerium in Moskau sowie den beiden Geheimdiensten FSB und GRU gelenkt, finanziert und mit Waffen ausgestattet. Und auf den Schlachtfeldern des Ukrainekrieges gelten sie nun sogar ganz offiziell als Teil des „Orchesters der Streitkräfte“ der Russischen Föderation. Das schließt eine Strafverfolgung logischerweise aus.
Neben der Teilnahme an den Kämpfen in der Ukraine hat die Kreml-Führung weitere gute Gründe, die TschWK gewähren zu lassen oder gezielt vorzuschicken. Wie Putin andeutete, ermöglichen sie es, Kriege ohne eine direkte Mitwirkung der regulären Streitkräfte zu führen und somit jegliche Verantwortung für die Gewaltausübung seitens der „Freiwilligen“ abzustreiten. Darüber hinaus erlauben die Privatarmeen die relativ geräuschlose Verfolgung eigener wirtschaftlicher und außenpolitischer Interessen. So schützen sie beispielsweise Rohstofflagerstätten und -transporte in gefährlichen Regionen der Welt und stabilisieren parallel dazu noch Diktaturen, deren Fortbestehen der Kreml als nützlich ansieht. Das gilt insbesondere für Afrika, wo mittlerweile schon in 19 Staaten TschWK operieren.
Zum Dritten spart der Staat viel Geld, weil in die Finanzierung auch Unternehmen und Oligarchen einbezogen sind. Gleichzeitig schaffen die privaten Militärunternehmen ein Gegengewicht zur eigentlichen Armee und kompensieren deren Schwächen. Denn sie sind deutlich weniger schwerfällig und bürokratisch verfasst. Das bietet vielerlei Chancen: Eine TschWK kann aufgrund ihrer flachen Hierarchien und hohen Mobilität schnell an plötzliche Brennpunkte entsandt werden und dort hochkomplexe Missionen durchführen. Das erfordert allerdings den Einsatz von erfahrenen Spezialisten, an denen jedoch kein Mangel besteht.
Rückendeckung für Putin
Andererseits lassen sich die vielfach hastig rekrutierten und weniger gut ausgebildeten Angehörigen russischer Privatarmeen relativ bedenkenlos als „Kanonenfutter“ verwenden. Für die hohen Verluste werden dann nicht die Mitglieder der Staats- oder Armeeführung verantwortlich gemacht, sondern die Unternehmer an der Spitze der Gruppierungen.
Ansonsten sehen aber auch die Oligarchen Vorteile in der Aufstellung von TschWK. Zunächst ermöglichen diese natürlich erst einmal eine Profilierung der besonderen Art. Wer bewaffnete Freiwillige rekrutieren und scheinbar nach eigenem Gutdünken einsetzen kann, genießt einen hohen Status in Russland, weil er ein Machtmittel ersten Ranges besitzt. Wobei sich damit gleichzeitig Loyalität gegenüber der Obrigkeit demonstrieren lässt. Und es ist außerordentlich praktisch, über eigene Truppen zu verfügen. Diese können unternehmenseigene Anlagen und das Personal auch in heiklen Umfeldern vor Angriffen aller Art oder Terrorismus schützen und dabei die „Drecksarbeit“ erledigen, welche niemand anders übernehmen will.
Und dann wäre da noch der Aspekt der Zukunftsvorsorge. Wenn es in Russland zu einem politischen Umsturz kommt, könnte daraus ein Kampf „jeder gegen jeden“ erwachsen. Das wiederum würde effektive Mittel erfordern, um den eigenen Wohlstand oder gar das eigene Überleben zu sichern. Möglicherweise ist dies auch der Grund, warum Putin die vermeintliche Putschistengruppe Wagner mit Samthandschuhen anfasst. Wer böte denn im Notfall die bessere Rückendeckung: der pragmatische Söldnerchef Prigoschin oder die behäbige Armeeführung?


