Die anhaltende Gewalt droht den nordindischen Bundesstaat Manipur, der je zur Hälfte von Christen und Hindus besiedelt ist, in zwei Teile zu spalten. Anfang Mai stießen Angehörige der dominanten ethnischen Gruppe der hinduistischen Meitei in einem der schlimmsten ethnischen Konflikte der Region seit Menschengedenken gewaltsam mit der christlichen Minderheit der Kuki zusammen.
Während die Christen Bergbewohner sind, siedeln die meist später zugewanderten hinduistischen Meitei in den Tälern. In der Regionalhauptstadt Imphal dominieren die Meitei zahlenmäßig und politisch. Tausende von christlichen Kuki sind in den Nachbarbundesstaat Naga-land geflohen, in dem Christen die Mehrheit bilden. Etwa 130 Menschen, vor allem Kuki, sind ums Leben gekommen, mehr als 60.000 Menschen wurden vertrieben, und Hunderte von Behelfslagern wurden eingerichtet. Die Gewalt in Manipur schürt den Ruf nach einem eigenen christlichen Staat in Indien.
Auslöser für die Unruhen war ein Gerichtsurteil vom 27. März, das der dominanten Meitei-Gemeinschaft den privilegierten Status einer sogenannten registrierten Stammesgemeinschaft (ST) zuerkannte. Das bedeutet, dass die Meitei zu den indigenen Volksgruppen gezählt werden, denen nach der indischen Verfassung als „schwächeren Teilen der Bevölkerung“ Schutz, staatliche Wohlfahrts- und Förderprogramme sowie Sonderrechte eingeräumt werden. Der ST-Status berechtigte die Matei-Gemeinschaft zu den gleichen wirtschaftlichen Vorteilen und Quoten bei staatlichen Stellen und im Bildungswesen wie die Kuki-Gemeinschaft, einschließlich der Erlaubnis, Land in den Hügeln zu erwerben, wo die Kuki überwiegend leben. Die Entscheidung wurde später vom Obersten Gerichtshof aufgehoben, der sie als „faktisch falsch“ bezeichnete.
Streit um positive Diskriminierung
Der Fall hat die ohnehin schon angespannte Situation in einem Staat, dem ethnische Konflikte und Aufstände seit seiner Unabhängigkeit nicht fremd sind, weiter verschärft. Der Militärputsch im Nachbarland Myanmar im Jahr 2021 führte erneut zu Spannungen, nachdem Tausende von christlichen Flüchtlingen, die ethnisch eher den Kuki zuzuordnen sind, über die Grenze in den Bundesstaat Mizoram und dann nach Manipur geflohen waren, was bei den Meitei die Befürchtung auslöste, ihre Gemeinschaft könnte vertrieben werden.
Ein Protest von Kuki-Studenten am 3. Mai gegen das Gerichtsurteil wurde mit Gewalt beantwortet, und innerhalb weniger Stunden kam es zu Zusammenstößen zwischen den ethnischen Gruppen. In den ersten beiden Tagen der Gewalt wurden Häuser, Geschäfte, Kirchen, Tempel und Unternehmen zerstört sowie etwa 60 Menschen getötet. Seitdem gehen die Zusammenstöße und das Niederbrennen von Dörfern unaufhaltsam weiter. Beide Seiten haben sich nun zusammengerottet, um ihre eigenen Territorien zu schützen. Jedes Dorf hat seine eigene Miliz gegründet. In den Kuki-Dörfern ertönt immer mehr die Forderung nach einem eigenen Kuki-Staat oder nach einem christlichen Staat im Nordosten Indiens.
Forderung nach eigenem Bundesstaat
Als Indien zur Unabhängigkeit 1947 monatelang von religiöser Gewalt heimgesucht wurde, entstanden aus Britisch-Indien drei konfessionelle Staaten: das hinduistische Indien, das buddhistische Sri Lanka und das muslimische Pakistan. Pakistan war der erste als islamischer Staat gegründete Staat der Neuzeit. Für die Christen, die in den Bergregionen zwischen Indien, Burma und Bangladesch schon damals die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, gab es keinen Staat. Sie wurden zu kleinen Minderheiten im hinduistischen Indien, im muslimischen Bangladesch und im buddhistischen Burma, heute Myanmar. Gegenwärtig bilden Christen in den indischen Bundesstaaten Meghalaya, Mizoram and Nagaland die absolute Mehrheit, in Manipur und Arunachal Pradesh stellen sie die größte Bevölkerungsgruppe.
Das benachbarte Myanmar droht, die Gewalt weiter zu schüren. Die seit 2021 regierende Militärjunta des Landes unterstützt die Meitei, während die Unterstützung der Rebellen und Demokratieaktivisten in Myanmar den Kuki gilt. Aktivisten beider Seiten räumen ein, dass die Kämpfe durch den Zustrom von Waffen aus Myanmar nach Manipur angeheizt werden. Polizei, Armee und führende Vertreter beider Gemeinschaften haben bestätigt, dass in Myanmar kämpfende Militante ebenfalls die Grenze überquert haben und Angriffe auf die gegnerischen Gemeinschaften verüben.


