Der Wahlausgang in Spanien war äußerst knapp, es gab keine „konservativ-rechte“ Welle. Zwar hat der konservative Partido Popular (PP) die Wahl gewonnen, aber der Volkspartei fehlen sieben Sitze, um mit der rechten Partei Vox im spanischen Kongress die Mehrheit zu erringen. Die von vielen erwartete PP-Vox-Koalition schafft es nicht, den sozialistischen Premierminister Pedro Sánchez aus dem Amt zu heben. Er wird sich in einer noch fragileren Koalition mit zahlreichen regionalen und linken Kleinstparteien wohl noch etwas halten können.
Aber die Brandmauer zu Vox, welche die CDU-Schwesterpartei PP in den Jahren zuvor errichtet hatte, ist in Spanien schon längst Geschichte. In drei Regionen (Kastilien-León, Extremadura, Valencia) sind Bündnisse geschmiedet worden, in rund hundert Rathäusern regiert die Volkspartei mit den stramm rechtskonservativen Vox-Leuten zusammen.
Die von Santiago Abascal geführte, 2013 gegründete Vox kämpft gegen illegale Einwanderung, gegen Separatismus in Katalonien und für das alte Spanien mit Stierkampf und traditionellem Familienbild. Der eher soft-konservative PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijóo hatte früher heftig gegen Vox polemisiert, sie als „rechtsextrem“ bezeichnet und eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. Das hat sich geändert. Es wäre vergleichbar mit CDU-AfD-Koalitionen – und daher war schon viel von „Tabubruch“ die Rede.
In mehreren Ländern Europas haben rechte Wahlsiege vormalige Brandmauern weggespült. Italien wird seit Herbst von einer Rechtskoalition regiert, deren angeblich „post-faschistische“ Spitzenfrau Giorgia Meloni auch auf internationalem Parkett eine gute Figur macht und inzwischen sogar vom EVP-Vorsitzenden Manfred Weber (CSU) heftig umworben wird. Der Chef der Europäischen Volkspartei, die von der CDU/CSU dominiert wird, würde Melonis „Brüder Italiens“ gerne ins EVP-Lager ziehen.
Wie Italien hat auch Skandinavien seit 2022 einen Rechtsruck erlebt: In Schweden sind die vormals ausgegrenzten rechten Schweden-Demokraten indirekt an der Regierung beteiligt, in Finnland stellen die rechtspopulistischen „Basisfinnen“ mehrere Minister. Trotz eines „Rassismus-Skandals“ um alte Äußerungen im Internet hält die Regierung. Ministerpräsident Petteri Orpo, der die Basisfinnen früher konsequent ausgrenzen wollte, bescheinigte ihnen einen Wandel: Sie unterstützen die NATO, sie seien keine extreme, rechtsextreme Partei. Orpo bekräftigte jüngst in einem „FAZ“-Interview: „Eines Tages muss man sie in die Verantwortung lassen.“ Die skandinavischen Brandmauern sind Geschichte. Auch in unserem Nachbarland Österreich regiert schon in mehreren Bundesländern (Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg) die moderat-konservative ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ, die in Umfragen seit Längerem auf dem ersten Platz liegt. Es ist gut möglich, dass die FPÖ von Herbert Kickl bei der Wahl 2024 in Führung liegt und nach dem Kanzleramt zu greifen versucht.
All das scheint in der Bundesrepublik bislang (noch) völlig unmöglich. Hier steht die von Linkspartei bis CDU/CSU geforderte Brandmauer als antifaschistischer Schutzwall gegen die AfD weiterhin fest. Allenfalls kommunalpolitisch hat die AfD bislang ein paar Löcher in die Mauer geschlagen. Friedrich Merz blies nach seinen jüngsten Äußerungen, dass in Kommunen eine Zusammenarbeit möglich wäre, orkanartiger Gegenwind entgegen. Doch natürlich ist es richtig, die Ausgrenzung zu überdenken. Man kann auf Dauer schlecht Millionen Wähler ausgrenzen. Vor allem im Osten kommt das sehr schlecht an.
Freilich muss auch die AfD in sich gehen und von irregeleiteten „Systemwechsel“-Phantastereien Abstand nehmen. Ein außenpolitisch irrlichternder Kurs – die teils wie Radio Moskau klingenden Positionen oder eine NATO-Austrittsspinnerei – führt ins Abseits. Mit weltfremden Ideen wie der „Auflösung der EU“ gewinnt sie keinen Blumentopf. Selbst Marine Le Pen spricht nicht mehr von EU-Austritt. Die AfD ist auf EU-Ebene ziemlich isoliert. Sogar Ungarns rechter Regierungschef Viktor Orbán, dessen Fidesz-Partei aus der EVP flog, will mit der AfD offiziell nichts zu tun haben.
Nur wenn die AfD sich mäßigt und Extremisten aussortiert, hat sie eine Chance, jemals realpolitische Macht zu erringen und tatsächlich zu gestalten. Versteift sie sich auf fundamentalistische Positionen, bleibt sie ewig draußen vor der Tür. Sie macht es den anderen damit einfacher, weiter die Brandmauer-Politik zu praktizieren.


