17.11.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 30-23 vom 28. Juli 2023 / Baltikum / Estland – eine Sommerliebe / Einmal Reval, Peipussee, Dorpat und zurück – Eine gemütliche Rundreise durch deutsch-baltische Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-23 vom 28. Juli 2023

Baltikum
Estland – eine Sommerliebe
Einmal Reval, Peipussee, Dorpat und zurück – Eine gemütliche Rundreise durch deutsch-baltische Geschichte
Detlef Berg

Auf dem blankgescheuerten Holztisch steht ein Krug mit einem bunten Strauß frischer Feldblumen. Zur Erfrischung bekommen die Gäste ein Glas selbst gemachter Limonade mit dem Geschmack von Holunderblüten – erfrischend und köstlich zugleich. Auch was zum Essen auf den Tisch kommt, lässt manchen an Zeiten denken, als man bei der Großmutter auf dem Land einen Teil der Sommerferien verbrachte.

Mulgikapsas heißt hier eines dieser typischen Gerichte: Schweinefleisch mit Sauerkraut und jeder Menge Kümmel, dazu Kartoffeln, eine der beliebtesten Beilagen der estnischen Küche. Zum Nachtisch wird ein frisch gebackener Streuselkuchen mit Waldbeeren serviert. Zu genießen ist das auf einer Terrasse des Gutshofes Vihula Manor Country Club, einem Ensemble von zwei Dutzend Gebäuden mit einer 800-jährigen, wechselvollen Geschichte. Das Anwesen liegt nur eine Autostunde östlich von der Hauptstadt Reval (Tallinn) entfernt und mitten im Lahemaa-Nationalpark, der mit seinen von Elchen, Bibern und Bären bewohnten Kiefernwäldern, verträumten Buchten und azurblau leuchtenden Seen heute ein beliebtes Feriendomizil ist.

Viol (Vihula) ist nur einer von rund 2000 Gutshöfen, die vor dem Ersten Weltkrieg deutsch-baltischen Familien gehörten. Viele dieser Höfe wurden während der Russischen Revolution niedergebrannt, ihre adligen Besitzer umgebracht. Die verbliebenen Deutsch-Balten wurden 1939 zwangsumgesiedelt, so auch die Familie von Schubert vom Gut Viol. Danach war das Anwesen wie die meisten Güter im Baltikum dem Verfall preisgegeben. Erst nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Estlands 1991 wurden einige Gutshöfe aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst und bieten verwöhnten Reisenden eine ebenso exklusive wie abgeschiedene Bleibe auf Zeit. 

Viol präsentiert sich heute als schmuckes Feriendorf in einer 50 Hektar großen Parklandschaft. Die Gästezimmer – in einer gelungenen Mischung aus historischem Ambiente und zeitgemäßem Komfort – befinden sich im herrschaftlichen Haupthaus, im ehemaligen Waschhaus am Mühlenteich und im einstigen Kutscherhaus. Am Abend genießt man moderne estnische Küche im stilvoll hergerichteten Restaurant im Herrschaftshaus, und auch Vegetarier kommen auf ihre Kosten. Den nächsten Tag verbringen die Kinder von Urlaubspaaren auf der Öko-Farm. Sie sind begeistert, den Tieren einmal so nahekommen zu können.

Berühmter Findling-Wanderweg

Die Erwachsenen erkunden mit dem Fahrrad derweil die Gegend, radeln bis zum nur vier Kilometer entfernten Ostseestrand. Im Fischerdorf Altja erinnern die alten mit Reet gedeckten Holzhäuschen an die Zeit, als das Überleben der Dorfbewohner vom erfolgreichen Fischfang abhing. Als schönstes Dorf der Region gilt Kaspervik (Käsmu). Es liegt auf der kleinsten der vier Halbinseln, die im Nationalpark Lahemaa in die Ostsee hineinragen. Weil in Kaspervik früher viele Schiffskapitäne wohnten, wird das Dorf auch als Kapitänsdorf bezeichnet. 

Ein Schiffsmuseum, eingerichtet in der einstigen Seefahrtsschule, erinnert mit interessanten Exponaten an diese Zeit. Eindrucksvoll ist auch die Küste – sie ist mit riesigen Findlingen übersät. Diese Relikte der Eiszeit liegen nahe beim Dorf und am Meer und sind der Höhepunkt des berühmten Findling-Wanderwegs Kas­pervik. Ein Panoramaweg folgt der Küste auf ganzer Länge. Auf Fahrrädern geht es 

14 Kilometer auf einem mit blauen Bändern markierten Weg entlang durch wunderschöne Landschaften.

Nächster Höhepunkt ist der Lehrpfad im Viru-Hochmoor. Ein Holzsteg führt durch eine faszinierende Wald- und Moorlandschaft mit blau glänzenden Seen, in denen sich die Wolkenformationen des Himmels spiegeln. Unterwegs informieren Tafeln darüber, dass hier noch bis 1985 Torf abgebaut wurde.

An der alten Poststraße von Reval nach St. Petersburg liegt nicht nur Viol, sondern mit Palmse und Saggad (Sagadi) auch weitere sehenswerte Gutshäuser.

Das Gut Palmse, einst ein Zisterzienserkloster, kam 1677 in den Besitz der deutsch-baltischen Familie von der Pahlen. Das gelb leuchtende Barockgebäude liegt in einem englischen Landschaftspark und ist heute ein Museum. Dort erhält der Besucher einen anschaulichen Einblick in das einstige Leben des baltischen Landadels. Auch im acht Kilometer entfernten barocken Gutshof Saggad informieren Museen über die wechselvolle Geschichte, und im Forstmuseum sehen wir den einzigen Elch auf unserer Reise. Das ausgestopfte Exemplar schaut an der Wand von oben auf uns herab.

Frischer Fisch aus dem Peipussee

Beide Güter bieten auch preiswerte Übernachtungen an, wir aber fahren weiter gen Osten in Richtung Peipussee. Unterwegs lohnt ein Stopp in Kuremäe, wo das berühmte russisch-orthodoxe Kloster Püchtitz mit seinen sechs mit Zwiebeltürmen bekrönten Kirchen steht, in dem heute etwa 150 Nonnen leben. Dieser Besuch ist eine Einstimmung auf das Westufer des Peipussees, an dem eine überwiegend russischstämmige Bevölkerung lebt.

Am mit Schilf bewachsenen Ufer des fünftgrößten Sees in Europa wohnen viele Altgläubige, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Glaubensflüchtlinge aus Russland angesiedelt haben. Sie betreiben traditionell vor allem Fischfang und Zwiebelanbau, und gleich im ersten Straßendorf Varnja sitzen alte Mütterchen vor ihren schmucken, zumeist einstöckigen Holzhäusern und flechten Zwiebeln zu schönen Zöpfen. Sie leben vor allem vom Verkauf der Zwiebeln, getrockneten Kräutern und eingelegtem Gemüse. Reich werden kann man damit nicht, und deshalb ziehen viele junge Menschen weg.

Alexej ist geblieben, betreibt mit seiner Frau einen kleinen Imbiss am Straßenrand. Er hat ein paar Stühle und Tische aufgestellt, und alles, was auf den Tisch kommt, stammt aus der Region. Besonders lecker ist gebratener oder geräucherter Fisch, frisch aus dem Peipussee.

Wenige Kilometer vom Westufer des Sees entfernt liegt Allatzkiwi mit einem der schönsten Schlösser Estlands. Baron Arved Georg von Nolcken ließ es 1880 bis 1885 nach dem Vorbild von Schloss Balmoral in Schottland erbauen. Eine Besichtigung des schneeweißen Schlosses lohnt sich, und im Restaurant bekommt man neben gutem Essen auch gleich Tipps vom Kellner für die Besichtigung der früheren Hansestadt Dorpat. Mehr als ein Fünftel der mit 100.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt des Landes sind Studenten der bereits 1632 gegründeten Universität. Das prägt das Leben der Stadt – die kleinen Cafés, Bars und Restaurants sind gut besucht.

In Reval schließt sich der Kreis der Rundreise. Im Oru Hub Hotel der Accor-Kette ist Eigentümerin Sonia Bernovski enttäuscht, wenn die Gäste nur wenig Zeit mitbringen. „Ihr müsst einfach wiederkommen“, fordert sie, „vielleicht mal in der Vorweihnachtszeit. Dann ist die Altstadt festlich geschmückt, und auf dem Rathausplatz gibt es einen Weihnachtsmarkt. Versprochen?“ – Versprochen!

b www.visitestonia.com