Du musst ein Schwein sein in dieser Welt. Schwein sein ... gemein sein“ sangen die „Prinzen“ 1995. Hätten die Leipziger mit dem Lied doch bloß schon sieben Jahre früher die Hitlisten gestürmt – und zwar so laut, dass es der Titel sogar im Westen der 1988 noch geteilten Republik zum Ohrwurm gebracht hätte! Dann wäre dem jungen Hubert Aiwanger vielleicht einiges erspart geblieben, vorausgesetzt, er hätte sich an den Rat des Textes gehalten.
So aber lief er in die Falle, denn in der vorschweinischen Epoche um 1988 galt manches noch als unanständig, was uns heute von einigen Leuten als zwingender Ausdruck von Anstand und Moral verkauft wird. So wirft die „Zeit“ dem Politiker vor, dass er seinen knapp ein Jahr älteren Bruder Helmut nicht an die Lehrer verpfiffen hat, als sie dessen völlig entgleistes Pamphlet in Huberts Schulmappe fanden. Über den abstoßenden Inhalt des Pamphlets müssen wir uns hier nicht weiter ausbreiten, der ist mittlerweile bekannt.
Er war eben kein Schwein, der junge Hubert, denn er hielt dicht, und dafür soll er jetzt politisch erledigt werden. Besonders delikat wird der Vorgang natürlich durch den Bezug zur NS-Geschichte. Wobei Michael Wolffsohn im „Focus“ allerdings bezweifelt, dass es sich bei dem 35 Jahre alten Schülergeschmiere von Helmut Aiwanger überhaupt um Antisemitismus handelt. Das Papier „witzelt tändelnd über die Hölle auf Erden“, so der 1948 in Tel Aviv geborene langjährige Professor an der Münchener Bundeswehr-Uni: „Es ist menschenverachtend, aber ist es deswegen automatisch antisemitisch? Antisemiten machen Juden als Juden verächtlich. Sie fordern die Benachteiligung und sogar Ermordung. Kein Wort davon in diesem dreckigen Text. Merke: Nicht jeder Dreck ist zugleich antisemitisch.“
Anfangs war ja alles ganz anders geplant. Da Hubert Aiwanger 1988 mit dem „Dreck“ erwischt wurde und nicht sagen wollte, wer den geschrieben hatte, muss sein Name heute im Gedächtnis einiger Zeitzeugen mit dem Flugblatt verschmolzen sein, woraufhin die Zeugen dann der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) einen falschen Tipp gesteckt haben: Der Hubert habe das geschrieben! Die „SZ“-Leute konnten ihr Glück kaum fassen und schossen auf den Chef der Freien Wähler als den vermeintlichen Autor. Wer sein Geschoss abfeuert, sollte allerdings darauf achten, dass ihm der Rückstoß seiner Waffe nicht selbst die Visage poliert. Genau das widerfuhr der „SZ“, als sich erwies, dass Aiwangers Bruder der Verfasser war.
Affäre geplatzt? Von wegen! Nun begann das substanzfreie Gegrunze und Gequieke. Dass Hubert Aiwanger die Treue zum eigenen Bruder um die Ohren gehauen wird, ist eine Klasse für sich. Totalitären Gewaltherrschern ist die Loyalität zwischen Verwandten, Freunden oder anderen, staatsfernen Gemeinschaften ein Dorn im Auge. Denn sie begrenzt die absolute Herrschaft der Diktatur, der allein die Loyalität der Menschen gehören soll. Daher animieren solche Regime, egal ob braun, rot oder sonst wie eingefärbt, ihre Untertanen durch intensive Propaganda, alle und jeden ans Messer zu liefern, wenn einer „auffällig“ wird – sogar den eigenen Bruder.
Den Schöpfern des Grundgesetzes steckte die Erfahrung dieses ermunterten oder gar erzwungenen Denunziantentums schmerzhaft in den Knochen, weshalb sie verfügten, dass nach deutschem Recht fortan niemand mehr gezwungen werden darf, seine eigenen Verwandten zu belasten. Über viele Jahrzehnte zählten wir diesen Grundsatz stolz zu den „Lehren aus der Geschichte“, die wir Deutsche gezogen hätten. Heute gilt das für manche wohl nicht mehr.
Listig „in Zusammenhang“ bringen
Besonders schräg quiekt das dünne Stimmchen der bayerischen SPD, die bei den Landtagswahlen am 8. Oktober laut Umfragen auf ein Ergebnis von neun Prozent zusteuert. Deren Spitzenkandidat Florian von Brunn meint, es komme „gar nicht darauf an, wer das (Pamphlet) getippt hat“. Es reiche schon, dass Hubert Aiwanger damit „in Zusammenhang gebracht wird“, um gleichsam untragbar zu werden.
Ist das nicht großartig? Erst bringt man den Chef der Freien Wähler durch den falschen Vorwurf der Autorschaft eigenhändig mit dem Text „in Zusammenhang“. Als die Blase dann platzt, wirft man dem falsch Beschuldigten listig vor, „in Zusammenhang gebracht“ worden zu sein. Und von wem? Genau! Mit dem Trick können Sie jeden plattmachen, sie müssen ihm nur irgendwas an den Kopf werfen, schon steht er „im Zusammenhang“ damit. Übrigens auch typisch für totalitäre Diktaturen, wo die bloße Beschuldigung reicht, um erledigt zu sein. Nicht nur bei Stalin und Mao wurden auf diese Weise Millionen von Schicksalen besiegelt. Daher stützt sich der deutsche Rechtsstaat so sehr auf die Unschuldsvermutung, wo falsche Beschuldigungen sogar gefährlich werden können, weil sie den Falschbeschuldiger schnell selbst zum Angeklagten machen. Diese „Lehre aus der Geschichte“ hat man unterdessen wohl in die Schweinesuhle gekippt.
Wird interessant, wie es weitergeht. Was macht eigentlich Markus Söder aus der Angelegenheit? Am Dienstag konnten wir ihn in Hochform erleben, wie er sich in alle Richtungen absicherte und zugleich den maximalen strategischen Nutzen aus den Schwierigkeiten seines Koalitionspartners zog. Aiwanger bleibe auf dem Posten und die Koalition mit den Freien Wähler wolle die CSU auch nach den Wahlen fortsetzen.
Jedoch sei noch nicht alles aufgeklärt, „der Ball liegt wieder bei den Freien Wählern und Hubert Aiwanger“, so der bayerische Ministerpräsident. 25 Fragen soll der Gescholtene schriftlich beantworten. Und dann? Ist die Chose danach etwa begraben? Keine Sorge: Bei 25 Antworten sind todsicher welche dabei, die zu Rückfragen einladen, deren Beantwortung weitere Rückfragen ermöglichen. So kann Söder den Chef seines kleinen Regierungspartners bis zur Wahl in gut sechs Wochen auf dem Grill der politmedialen Inquisition brutzeln lassen. Andererseits kann er nach Belieben auch in die Rolle des väterlichen Beschützers von Aiwanger schlüpfen, da ihm das grünlinke Lager mit der „SZ“ vorneweg dauernd vorwerfen wird, mit dem FW-Vorsitzenden nicht hart genug zu verfahren.
Was aber sagen eigentlich deutsche Juden zu dem ganzen Zirkus? Michael Wolffsohn verweist auf vergangene antisemitische Entgleisungen linker Politiker wie Sawsan Chebli oder Joschka Fischer, der als junger Mann an einem PLO-Kongress teilnahm, auf dem der „Endsieg“ über Israel gefordert wurde, was ihm später als Minister nicht schadete. Und Henryk M. Broder erkennt angewidert, dass hier bloß alte Rechnungen beglichen werden.
Man erkennt: Beide sind es satt, dass das furchtbare Schicksal ihrer Leute im 20. Jahrhundert herumgereicht wird wie ein Patronengürtel, aus dem sich jeder ein Projektilchen schnappen darf, um einen Gegner damit auszuschalten. Noch dazu, wenn dabei Gestalten besonders eifrig zugreifen, die bei ihrer „Israel-Kritik“ nie mit Gift sparen.


