Unter den Gedenk- und Feiertagen unseres Landes ist der 3. Oktober einer der unehrlichsten. Zumindest im Hinblick auf diejenigen, die ihn seit Jahren in den offiziellen Festakten von Bund und Ländern begehen: die Vertreter von Staat und Parteien, Kirchen und Verbänden. Seit der unerwarteten – und von vielen Politikern erklärtermaßen ungewollten – staatlichen Einheit von 1990 zelebrieren sie den amtlichen Nationalfeiertag regelmäßig vor allem als einen Anti-Gedenktag. Auch in diesem Jahr gab es nichts, was dem Anspruch einer Feier der Nation auch nur entfernt gerecht würde.
Wo andere demokratische Länder ganze Orte in ihre Nationalfarben kleiden sowie stolz und ausgelassen Volksfeste feiern, werden in Deutschland vor allem Probleme gewälzt. Die Klassiker dabei sind unter anderem das „immer weitere Auseinanderdriften von Ost und West“ sowie die Warnungen vor einem angeblich dramatisch wachsenden Nationalismus. Zwar werden die deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold – die zu keinem Zeitpunkt unserer Geschichte Symbole von Unterdrückung und Despotie waren, sondern stets von Freiheit und Demokratie – an Behörden und öffentlichen Gebäuden gehisst, doch wird zugleich jedes wärmende Gefühl vermieden. Freude herrscht allenfalls darüber, wenn der Feiertag kalendarisch so fällt, dass er ein langes Wochenende ermöglicht, am besten wie diesmal mit einem Brückentag.
Gewiss lehren die Höhen und Tiefen unserer Geschichte, vor allem die Brüche des 20. Jahrhunderts, es mit patriotischem Übermut nicht zu übertreiben. Doch anders als von Skeptikern 1989/90 befürchtet, ist das vereinte Deutschland nicht zu einem „Vierten Reich“ geworden, das nach innen unfrei ist und nach außen andere Länder bedroht, sondern ein Land, das auf vielen Politikfeldern weltweit Achtung und ein hohes Ansehen genießt. Zumindest, solange deutsche Regierungsvertreter und Aktivisten darauf verzichten, wie in jüngster Zeit als Oberlehrer aufzutreten und andere Nationen permanent darüber belehren zu wollen, was sie zu tun und zu lassen haben. Wobei interessanterweise ausgerechnet die Nachfolger derjenigen, die vor 33 Jahren vor neuer deutscher Großmannssucht warnten, heute diejenigen sind, die am deutschen Wesen wieder einmal die Welt genesen lassen wollen.
Entgegen allen Unkenrufen haben die Deutschen aus den Trümmern zweier Diktaturen ein leistungsfähiges Gemeinwesen aufgebaut, das – trotz aller unbestreitbar vorhandenen Probleme im Alltag – fast überall seinesgleichen sucht. Der Lebensstandard hierzulande ist einer der höchsten der Welt und die staatlichen Institutionen genießen bei der großen Mehrheit der Bevölkerung ein hohes Ansehen. Insofern haben die Deutschen allen Grund zur Freude – und das keineswegs nur zum Jahrestag der staatlichen Einheit.
Apropos Freude: Großereignisse wie das „Sommermärchen“ der Fußballweltmeisterschaft 2006 haben gezeigt, dass „die Welt“ keineswegs erschüttert ist, wenn ganz Deutschland in seinen Nationalfarben leuchtet, sondern dies im Gegenteil als etwas völlig Normales begrüßt. Wenn es also überhaupt ein Problem mit deutschem Patriotismus gibt, dann liegt es somit keineswegs bei denjenigen, die sich positiv zu diesem Land und seinen Menschen bekennen.
Diejenigen Deutschen, die ihrem eigenen Land noch immer negativ gegenüberstehen, sollten sich freilich fragen, warum gerade so viele Menschen aus aller Welt zu uns streben. Und sie sollten sich fragen, wie und wohin sie diejenigen, die zu uns kommen, integrieren wollen, wenn sie selbst kein Bewusstsein für unser Land und seine Menschen haben.


