Kurz vor der Hessen-Wahl kann Ministerpräsident Boris Rhein entspannt auf die Umfragen blicken: Seine CDU liegt stabil vorn. Umfragen bescheinigen den Christdemokraten im Vergleich zur vergangenen Wahl Zuwächse von drei bis vier Prozentpunkten. Rheins Wahlziel, mehr als 30 Prozent der Stimmen zu erreichen, scheint damit in greifbarer Nähe zu sein. Vor fünf Jahren kam die CDU in Hessen auf 27,0 Prozent. Gleichauf, mit jeweils 19,8 Prozent, landeten SPD und Grüne abgeschlagen hinter der Union, die sich schließlich für ein Bündnis mit der Öko-Partei entschied. Rhein, ein 51 Jahre alter Jurist, trat im Frühjahr 2022 die Nachfolge des langjährigen Regierungschefs Volker Bouffier an. Der Stabwechsel in der Wiesbadener Staatskanzlei verlief geräuschlos.
Und so war Rheins einziges Problem, während des Wahlkampfs die eigene Basis zu motivieren. „Das ist nicht ganz ungefährlich“, sagte er mit Blick auf die Werte der Demoskopen. Die könnten den Eindruck erwecken, es sei schon alles gelaufen. „Aber in Hessen ist nie alles gelaufen, bevor nicht alle Stimmen in der Wahlurne sind. Wir müssen höllisch aufpassen.“
Zu deutlich war der Vorsprung in allen Umfragen, in denen SPD und Grüne mit jeweils 17 Prozent wieder um den zweiten Platz rangeln, dicht gefolgt diesmal von der AfD, die Anfang der Woche auf 16 Prozent taxiert wurde. Die Rechtspartei profitiert dabei von ihrem bundesweiten Höhenflug. Ihr Aufschwung in Hessen ist dennoch erstaunlich, da die bisherige Landtagsfraktion während der Legislaturperiode vor allem durch interne Querelen und Austritte von sich reden machte. Rainer Rahn, Spitzenkandidat vor fünf Jahren, hat Fraktion und Partei bereits Anfang 2022 verlassen. Die Arbeit in der Landtagsfraktion sei von „antidemokratischem Geist“ geprägt, erklärte er. Den Landeschef und diesjährigen Spitzenkandidat Robert Lambrou ficht das nicht an. Er spricht von Kinderkrankheiten und Wachstumsschwierigkeiten, die man überwunden habe, und sagt seiner Partei ein Resultat von mehr als 15 Prozent voraus.
FDP am Fünf-Prozent-Abgrund
Die Wahl in Hessen hat durchaus auch bundespolitische Bedeutung. Zum einen könnte Rhein durch einen Wahlsieg in den Reihen der CDU-Granden aufsteigen, zum anderen droht der amtierenden Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein empfindlicher Karriereknick. SPD-Chef und Bundeskanzler Olaf Scholz schickte sie nach Hessen, um Rhein zu schlagen. Jetzt zeichnet sich eine üble Schlappe ab. Faeser hatte sich geweigert, ihr Ministeramt aufzugeben, und beabsichtigt nicht, nach der Wahl als Fraktionsvorsitzende ihr Landtagsmandat anzunehmen, falls der Urnengang in eine Niederlage für die SPD mündet. Ob sie aber in Berlin nach dem Wahlabend noch eine Zukunft haben wird, darf getrost bezweifelt werden.
Das Ampel-Klima in den kommenden Wochen dürfte auch erheblich vom Abschneiden der FDP abhängen. 1982 flog sie letztmals aus dem Wiesbadener Parlament, die aktuellen Umfragen sahen die Liberalen kurz vor der Wahl knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Ein Scheitern eines ihrer stabilsten Landesverbände dürfte parteiintern als GAU gewertet werden und die Diskussion befeuern, ob die FDP in Berlin als Juniorpartner von SPD und Grünen noch eine Zukunft hat. P.E.


