Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki hat den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aufgefordert, die Polen nie wieder zu „beleidigen“. Eine solche scharfe Rhetorik gegenüber Kiew ist neu. Selenskyj hatte seine Nachbarn in Warschau verärgert, als er vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York sagte, Kiew bemühe sich um die Aufrechterhaltung der Landwege für seine Getreideexporte angesichts der russischen Blockade des Schwarzen Meeres, doch das „politische Theater“ um die Getreideimporte helfe Moskau.
Polen hat zusammen mit Ungarn und der Slowakei ein Verbot für ukrainische Getreidetransporte durch sein Territorium verhängt und damit einseitig gegen eine Entscheidung der EU verstoßen. Dieser Schritt hat die einst sehr engen Beziehungen zwischen Kiew und Warschau erschüttert, das seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar letzten Jahres als einer der treuesten Verbündeten des Landes gilt. Noch vor vier Monaten sind der polnische Präsident Andrzej Duda und der Selenskyj Hand in Hand während eines Versöhnungsgottesdienstes in der ukrainischen Stadt Luzk in eine Kirche eingezogen. Im letzten Jahr war gar von einer polnisch-ukrainischen Staatenunion die Rede.
„Ich ... möchte Präsident Selenskyj sagen, dass er die Polen nie wieder beleidigen soll, wie er es kürzlich bei seiner Rede vor der UNO getan hat“, sagte Morawiecki kurz nach der Rede Selenskyjs auf einer Wahlkampfveranstaltung. Dies, obwohl zuvor Duda erklärt hatte, der Streit zwischen Polen und der Ukraine über Getreideimporte werde die guten bilateralen Beziehungen nicht beeinträchtigen. Dudas Kommentar folgte auf die Äußerung von Morawiecki, dass Polen wegen des Getreidestreits keine Waffen mehr an die Ukraine liefern werde.
EU trägt Mitschuld
Am 15. Oktober finden in Polen Parlamentswahlen statt, Morawieckis regierende nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat schlechte Umfragewerte. Sie wurde von der extremen Rechten wegen der ihrer Meinung nach unterwürfigen Haltung gegenüber Kiew kritisiert. Außerdem erschüttert ein Skandal um verkaufte Visa die polnische Regierungspartei. Der polnische Außenminister Zbigniew Rau sagte in einem Gespräch mit Reportern in New York, Polen habe zwar seine Politik gegenüber der Ukraine nicht geändert, doch habe sich die Wahrnehmung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern seit Beginn des Krieges in der polnischen Öffentlichkeit „radikal verändert“.
Eine Verbesserung dieser Wahrnehmung, so Rau, setze eine Verbesserung der Atmosphäre durch „gigantische“ diplomatische Anstrengungen voraus. Polen wirft der EU vor, dass billige ukrainische Agrarerzeugnisse auf dem Transit durch Polen verkauft würden, was den eigenen Landwirten schade. Für diesen Missstand ist eigentlich die EU verantwortlich, weil sie in Polen lieber die Regierung als den reibungslosen Transport des Getreides kontrolliert. Allerdings verzichtet man in Polen auf Kritik an der EU. Selenskyj sagte, dass Russland gestärkt werde, wenn es der Ukraine an Unterstützung fehle.


