Es hat den Anschein, als benötige jede Generation eine neue Version von Erich Kästners Jugendbuch „Das fliegende Klassenzimmer“. Seit 1954 wurde der 21 Jahre zuvor veröffentlichte Roman viermal verfilmt – und jedes Mal unter anderen Vorzeichen. Die erste Filmfassung, in der Kästner selbst als Erzähler mitwirkt, fügt sich noch in die heile Sehnsuchtswelt der Nachkriegszeit ein. 1973 hob das Klassenzimmer entgegen der Vorlage, wo man nur ein Theaterstück probt, mit Joachim Fuchsberger und einer Lufthansa-Boeing tatsächlich in die Lüfte ab. 2003 mischte man sich integrativ unter die Thomaner und fing somit die neuen Bundesländer mit moderner Rap-Musik ein.
Eine radikale, wenngleich konsequente Anpassung an den durch Gleichberechtigung und Zuwanderung stark veränderten Zeitgeist machte wohl die Neuverfilmung nötig, die am 12. Oktober in die Kinos kommt. Statt eines reinen Jungen- hat man es hier mit einem gemischtgeschlechtlichen Internat zu tun und mit Schülern verschiedener ethnischer Herkünfte. Unter der Regie der in Berlin lebenden schwedischen Regisseurin Carolina Hellsgård ist der Film feministischer geworden, insofern aus dem Klassenprimus Martin Thaler eine Martina, aus dem rebellischen Johnny eine Jo und aus dem furchtsamen Uli so etwas wie ein nichtbinärer Angsthase mit androgynem Pferdeschwanz geworden ist.
Damit kann man aber gut leben, zumal darüber hinaus Altlasten sorgsam entsorgt sind. Abgesehen davon, dass statt Diktatheften nun Smartphones verloren gehen, man auf der Skateboardbahn Graffiti sprüht und das Internat nach Südtirol verlegt ist, erfolgt kein weiterer Verrat an der Buchvorlage. Der „Nichtraucher“ haust weiterhin als eine Art stationärer Herumtreiber in einem Zugwaggon, und Internatsleiter Böhk (Tom Schilling) übt sich auch hier als humanistisch gesinnter Friedensstifter zwischen seinen Zöglingen und den „Externen“, die im Buch noch Realschüler waren.
Die Menschlichkeit, die Kästner schon zu Beginn der NS-Zeit mutig in den Vordergrund gestellt hat, ist auch in diesem Film die Klammer, die alles zusammenhält. „An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern“: Diese Mahnung des Autors wird im Film zitiert, und sie lässt an die Gegenwart denken mit Krieg, Krisen und sozialen Konflikten. Der Film bietet Lösungen an, ohne dabei mit dem pädagogischen Hammer zu schwingen. Ein langes Verfallsdatum wird dieser brav erzählte Film jedoch kaum haben. Warten wir also die nächste Neuverfilmung ab.


