Im Jahr 1999 lieferte die Berliner Sonnenallee, genauer gesagt, der kürzere, in Treptow gelegene Teil der Straße, noch den Stoff für eine Filmkomödie, in der Regisseur Leander Haußmann die Teilung Berlins zu Mauerzeiten humoristisch verarbeitete. Das derzeitige Bild der Straße wird von einer Welle von Ausschreitungen und Hass-Demos geprägt. Seit den Attacken der Hamas auf Israel befindet sich Berlins Polizisten im Dauereinsatz. Neben offiziell genehmigten Demonstrationen kommt es jeden Tag zu spontanen Versammlungen pro-palästinensischer Gruppen oder zu Versuchen, Demonstrationsverbote zu umgehen. Vor allem in Neukölln werden immer wieder Autos angezündet oder Barrikaden errichtet. Bei ihren Einsätzen müssen Polizisten und Feuerwehrleute jederzeit damit rechnen, mit Steinen, Flaschen oder Böllern beworfen zu werden.
Wie hasserfüllt die Lage ist, zeigt der Fall einer Demonstration, die aus Sicherheitsbedenken wieder abgesagt wurde. Ursprünglich wollte eine Gruppe von zehn Personen am 20. Oktober unter dem Motto „Kein Platz für die Hamas – Berlin gegen Antisemitismus“ von der Sonnenallee zur Al-Nur-Moschee in der Neuköllner Haberstraße ziehen. Allerdings erhielt Marcel Luthe, der Anmelder der Veranstaltung, von der Polizei den dringenden Rat, die Demo abzusagen.
Luthe wurde bei einem Gespräch mit der Versammlungsbehörde zu verstehen gegeben, dass zum Schutz der kleinen Demonstration fünf Einsatzhundertschaften der Polizei nötig wären. Die Lage sei mit nichts vergleichbar, was man bisher erlebt habe, auch nicht mit den Ausschreitungen in früheren Jahren am 1. Mai, so ein Einsatzleiter. Angesichts der äußert strapazierten Personallage bei der Polizei und der Situation in der Stadt verzichtete Luthe schließlich auf die Ausübung des Demonstrationsrechts.
„Über die Feigheit erstaunt“
Die 500 Polizisten würden sicher andernorts benötigt, erklärte Luthe: „Aber ich bin über die Feigheit dieser Stadt unfassbar erstaunt. Dass man 90 Jahre nach 1933 nicht in der deutschen Hauptstadt für Juden demonstrieren kann, ist unglaublich.“ Schon am 11. Oktober hatte die Deutsch-Israelische Gesellschaft eine Kundgebung in Neukölln aus Sicherheitsgründen abgesagt.
Auch andere Entwicklungen sorgen für ein Klima der Angst: In der Nacht zum 18. Oktober haben zwei unbekannte Täter Molotowcocktails auf eine Synagoge in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte geworfen. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft ermittelt in diesem Fall wegen versuchter schwerer Brandstiftung. Bislang unbekannt sind auch Täter, die über Tage an Häusern, in denen Juden leben, Davidsterne angebracht haben.
Pro-palästinensische Gruppen hatten zudem für den 13. Oktober zu einer Art von Generalstreik aufgerufen. Per Handzetteln, die Personengruppen auf der Sonnenallee verteilt hatten, wurden Geschäftsinhaber aufgefordert, ihre Läden geschlossen zu halten. In der „Scharja al-Arab“ (zu Deutsch: Straße der Araber), so die unter vielen Arabern gebräuchliche Bezeichnung für die Sonnenallee, folgten nach Schätzung von Beobachtern etwa 80 Prozent der Ladeninhaber dem Aufruf. Gewerbetreibende, die dem Aufruf nicht gehorchten, wurden das Ziel von Übergriffen. Laut rbb schütteten unbekannte Personen vor einem arabischen Imbiss und einem Restaurant, die weiterhin geöffnet hatten, eine übel riechende Flüssigkeit aus.
Klimaextremisten machen weiter
Die Sicherheitslage in der Hauptstadt ist derzeit so prekär, dass der Senat sich gezwungen sehen könnte, auch auf radikale Klimaaktivisten härter als bisher zu reagieren. Mitglieder der „Letzten Generation“ hatten am 17. Oktober auf dem Alexanderplatz mithilfe umgebauter Feuerlöscher die unter Denkmalschutz stehende Weltzeituhr großflächig mit oranger Farbe beschmiert. Ausgeführt wurde die Aktion in Sichtweite der mobilen Polizeiwache, die nur einen Steinwurf entfernt liegt.
Die Reaktion der Berliner Landesregierung auf diese Farbattacke fiel bemerkenswert scharf aus. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte: „Das Maß ist übervoll.“ Innensenatorin Iris Spranger (SPD) wies auf den Dauereinsatz der Berliner Polizei zum Schutz jüdischen und israelischen Lebens hin. „Und während dieser Belastung begehen Straftäterinnen und Straftäter der sogenannten Letzten Generation Sachbeschädigungen, Nötigungen – Straftaten“, kritisiert Spranger.
Bei den Klimaextremisten scheint trotz der scharfen Kritik das Maß noch nicht voll zu sein. In einer Pressemitteilung kündigten Mitglieder der „Letzten Generation“ sogar weitere Farbattacken an. „Egal ob mit Feuerlöschern, Farbeimern oder Pinseln – wir werden das Brandenburger Tor immer wieder orange färben.“ Weiter schrieben die „Klimaschützer“: „Mit den zahlreichen Spekulationen dazu, bis wann das Brandenburger Tor wieder frei von oranger Warnfarbe ist, können wir aufräumen: Das Brandenburger Tor bleibt orange.“


