Zehntausende Menschen versammelten sich in den vergangenen Tagen in türkischen Städten, um die Hamas für ihren „Sieg“ gegen Israel zu feiern. Ein Sieg, der nichts anderes als ein Massaker an unschuldigen Kindern, Frauen und alten Menschen war. In den türkischen Straßen forderte man ein Ende des „Völkermords“ der Israelis an den Bewohnern von Gaza. Unter den Pro-Hamas-Marschierern in der Türkei befand sich auch einer der Söhne von Präsident Erdoğan und einer seiner Schwiegersöhne, der populäre Selçuk Bayraktar, Co-Chef des Kampfdrohnenherstellers Bayrakkar. Er zog unter dem Schlachtruf „Tod den Zionisten“ vom großen Basar in Istanbul bis zur Hagia Sophia.
Organisiert werden diese Demonstrationen meist nicht direkt von Erdoğans Partei AKP, sondern von der radikalislamischen „Partei der freien Sache“ (Hüdapar), ein politischer Ableger der Hisbollah-Bewegung unter den Kurden in der Türkei, die zur Präsidentschaftswahl im Sommer ein Bündnis mit Erdoğan eingegangen war. Jetzt organisieren die vier Hüdapar-Abgeordneten im Parlament von Ankara die türkische Solidarität mit der Hamas – mit Erdoğans Duldung und Unterstützung. Der türkische Präsident hatte sich seit Beginn der neuen Runde des Nahostkonflikts als Vermittler angeboten, während seine Verbündeten von Hüdapar offen die Terroristen unterstützten.
Erdoğan, der sich in seinen zwei Jahrzehnten an der Macht wiederholt für die palästinensischen Araber eingesetzt hat, unter anderem in einer scharfen Anklage gegen den ehemaligen israelischen Präsidenten Shimon Peres auf dem Davoser Forum 2009, beendete im vergangenen Jahr einen mehr als zehnjährigen diplomatischen Stillstand mit Israel. Dieser war entstanden, weil im Jahr 2009 die Israelis ein Unterstützungsschiff aus der Türkei für die Hamas in Gaza gestoppt hatten. Bei der Durchsuchung des Schiffes, auf dem Waffen gefunden wurden, war es zu einem Schusswechsel gekommen, bei dem ein türkischer Seemann getötet worden war.
Umso erstaunter war man, als Erdoğan sich im September zum ersten Mal mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu am Rande der UN-Generalversammlung in New York traf. Trotzdem verurteilte der türkische Präsident nun nachdrücklich „das wahllose Töten unschuldiger Menschen in Gaza“ durch Israel und sagte, dass Israel „sich nicht wie ein zivilisierter Staat verhält“.
Zur Besserung des Verhältnisses hatte vor allem die Waffenhilfe Israels für Erdoğans „Brudervolk“ in Aserbaidschan beigetragen, denn dort erwiesen sich die israelischen Drohnen besser als die von Erdoğans Schwiegersohn. Nur mithilfe dieser Waffen konnten die Aserbaidschaner das armenisch besiedelte Bergkarabach erobern und innerhalb einer Woche ethnisch von Armeniern säubern. Diese enorme Waffenhilfe ist zumindest auf türkischer Seite schon nach drei Wochen offenbar wieder vergessen. Nun scheint Erdoğan sein anderes „Brudervolk“ in Gaza wichtiger zu sein.


