08.11.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 43-23 vom 27. Oktober 2023 / Krieg in Nahost / Das Rätsel um den blutigen Erfolg des Hamas-Überfalls auf Israel / Wie konnte es den Terroristen gelingen, die Sperranlagen zu überwinden und die Verteidiger derart zu überraschen? Nach und nach dringen Details durch, die zutiefst beunruhigen müssen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-23 vom 27. Oktober 2023

Krieg in Nahost
Das Rätsel um den blutigen Erfolg des Hamas-Überfalls auf Israel
Wie konnte es den Terroristen gelingen, die Sperranlagen zu überwinden und die Verteidiger derart zu überraschen? Nach und nach dringen Details durch, die zutiefst beunruhigen müssen
Wolfgang Kaufmann

Bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober zeigte die sunnitisch-palästinensische Terrororganisation Harakat al-muqawamat al-islamiyya (Islamische Widerstandsbewegung oder kurz Hamas) eine überraschende militärische Schlagkraft: Zum einen gelang es ihr, die als unüberwindlich geltende Sperranlage um den Gaza-Streifen an etlichen Stellen zu durchbrechen, zum anderen trafen zahlreiche Raketen der Hamas Ziele in Israel. Deswegen wurde den israelischen Geheimdiensten und Streitkräften auch vorgeworfen, versagt zu haben. Das Problem liegt allerdings tiefer und wurzelt in einem extrem defensiven Sicherheitskonzept, das auf dem Einsatz von Hochtechnologie basiert.

Der bereits 1994 errichtete und nunmehr 65 Kilometer lange Zaun entlang der Waffenstillstandslinie von 1949 soll verhindern, dass Terroristen aus Gaza in Israel einfallen. Dabei erfolgte im Laufe der Zeit ein immer stärkerer Ausbau – die letzte Modernisierung fand zwischen Frühjahr 2019 und Ende 2021 statt und kostete umgerechnet etwa eine Milliarde Euro. Seitdem ist der sechs Meter hohe Grenzzaun, der auch Iron Wall genannt wird, mit Überwachungstürmen, Radarsystemen, Kameras und diversen Sensoren sowie automatischen Maschinengewehren innerhalb der stationären ferngesteuerten Waffenstationen für große Entfernungen des israelischen Rüstungsunternehmens Rafael Advanced Defense Systems gespickt. 

Frühe Warnung offenbar überhört

Darüber hinaus patrouillieren ferngesteuerte Fahrzeuge vom Typ Guardium UGV entlang der Sperranlage, um verdächtige Personen oder Tunnelausgänge aufzuspüren. Angesichts dessen zeigte sich der damalige israelische Verteidigungsminister Benjamin Gantz im Dezember 2021 überzeugt: „Diese Barriere, ein kreatives und hochtechnologisches Projekt ersten Ranges, nimmt der Hamas die Fähigkeit, auf unser Gebiet vorzudringen und schafft eine Mauer aus Eisen, Sensoren und Beton zwischen der Hamas und den Menschen im Süden Israels.“ 

Im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Technik hielt die Militärführung in Tel Aviv es für unproblematisch, Einheiten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) von der Grenze zum Gaza-Streifen abzuziehen und zum Schutz der dortigen Siedler ins Westjordanland zu entsenden, was aber von Anfang an auf Kritik stieß. So zitierte die „Times of Israel“ jetzt die Worte des Chefs der Offiziersschule der IDF, Oberst Yehuda Vach, welcher bereits 2019 gewarnt habe: „Der Zaun schafft eine Illusion … und vermittelt ein falsches Gefühl der Sicherheit.“ Und tatsächlich waren die Besatzungen der Stützpunkte entlang der Grenze derart arglos, dass es der Hamas gelang, vier davon zu überrennen. Dabei griff sie auf zwei Methoden zurück, welche sich als ausgesprochen erfolgreich erwiesen.

So reagierte die Hamas auf die technologische Dominanz der Israelis mit dem Verzicht auf die Benutzung von Mobiltelefonen und Computern, um den Geheimdiensten der Gegenseite keinerlei Hinweise auf die bevorstehenden Operationen zu geben. „Sie sind zurück in die Steinzeit gegangen“, beschrieb der pensionierte IDF-General und Präsident des Israel Defense and Security Forum, Amir Aviri, diese Vorgehensweise.

Die Hamas setzte aber auch moderne Technologien ein: Mithilfe von kleinen Drohnen unterbrach sie die Kommunikationsstränge zwischen den Überwachungsanlagen am Zaun und den Kommandozentren im israelischen Hinterland. So wurden die ferngesteuerten Anlagen und Waffen der IDF durch die ebenfalls ferngesteuerte Technik der Hamas lahmgelegt.

Darüber hinaus zeigen die Angriffe der Palästinenserorganisation, dass sie aus der Existenz der Grenzbarriere strategische Schlussfolgerungen gezogen hatte. Weil es ihr zunächst extrem schwerfiel, Terrorkommandos durch die Absperrung zu schleusen, setzte die Hamas auf mehr und leistungsstärkere beziehungsweise präzisere Raketen für Angriffe auf israelische Siedlungen und Städte, wie sie dann ab dem 7. Oktober zum Einsatz kamen. Damit offenbarte sich eine weitere Schwachstelle der Selbstverteidigung des jüdischen Staates: Das hochgelobte Raketenabwehrsystem „Eiserne Kuppel“ (Iron Dome) vermochte es nicht, alle von der Hamas abgeschossenen Raketen in der Luft zu zerstören. 

Die Abfangquote lag hier zwar bei mehr als 90 Prozent – allerdings setzten die Terroristen auch um die 5000 Raketen ein. Das Ausmaß des Angriffs überforderte die elf Iron-Dome-Batterien im Lande, obwohl diese über jeweils drei bis vier Abschussrampen für 20 Abfangraketen verfügen. Dass die Hamas derart massiv zuschlagen konnte, resultierte zum einen aus den geringen Kosten für den Bau der selbstgefertigten Qassam-Raketen von rund 300 bis 800 Euro pro Stück und zum anderen aus dem Umstand, dass sie auch Hilfe aus dem Ausland erhielt.

Waffenhilfe aus dem Ausland

An erster Stelle stand dabei der Iran, der mit Abstand größte Unterstützer der Hamas, welcher die palästinensische Terrororganisation mit umgerechnet 100 Millionen Euro pro Jahr alimentiert und darüber hinaus Militärtechnik in den Gaza-Streifen schmuggelt. Daher bedankte sich Hamas-Sprecher Abu Obeida nach den Terrorangriffen vom 7. Oktober bei der Islamischen Republik Iran, die mit „Waffen, Geld und Ausrüstung geholfen“ habe. Zur Letzteren zählen möglicherweise auch die Gleitschirme und Motorboote, mit denen einige Killerkommandos der Hamas in Israel einfielen.

Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass die Hamas über russische Panzerabwehr-Lenkwaffen vom Typ PG-7VR-Tandem verfügt, mit denen Panzer von oben attackiert werden können, wo sie am empfindlichsten sind. Das legt die in den Hamas-Propaganda-Videos gezeigte Zerstörung eines israelischen Merkava IV nahe, der immerhin zu den schwersten Panzern der Welt zählt.

Schließlich wäre da noch die Volksrepublik China, welche nach wie vor keine Anstalten zeigt, die Gräueltaten der Hamas zu verurteilen. So ist schon seit Längerem bekannt, dass sich im Arsenal der Terrororganisation auch Raketenwerfer befinden, die dem chinesischen Modell Weishi-1 entsprechen. Allerdings konnte bislang nicht geklärt werden, ob es sich dabei um Originale oder um Nachbauten handelt.