Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll den Regierungschefs der CDU-geführten Bundesländer auf dem Bund-Länder-Gipfel zur Migrationspolitik zu Beginn letzter Woche eine Intrige gegen deren Parteivorsitzenden Friedrich Merz vorgeworfen haben. Fakt ist, dass bei einem Treffen der Länderchefs vor dem Gipfel die Regierungschefs der CDU-geführten Länder gemeinsam mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) über die Idee gesprochen haben, eine Bund-Länder-Kommission zur künftigen Ausarbeitung der Migrationspolitik in Deutschland ins Leben zu rufen. Dieser Vorschlag wurde auf dem eigentlichen Gipfel zur Migrationspolitik dann tatsächlich in das Positionspapier aller Bundesländer übernommen. Ob dieser Entwicklung kann sich der Bundesvorsitzende der CDU nicht nur übergangen, sondern sogar ins Abseits manövriert fühlen.
Einen Monat vor dem Gipfel hatte der Bundeskanzler in seiner Rede zum Haushalt im Bundestag einen Deutschlandpakt vorgeschlagen. Scholz appellierte in seiner Rede zwar an alle Kräfte in Bund, Ländern und Kommunen, das Land schneller, moderner und sicherer zu machen, doch werteten viele Beobachter den Vorschlag zu einem Deutschlandpakt vor allem als ein Angebot an die CDU sowie deren Bundesvorsitzenden und Parteichef Friedrich Merz. Tatsächlich lud Scholz am 3. November Merz zu einem Gespräch ins Kanzleramt ein, um über seinen Deutschlandpakt zu reden. Der Dritte in der Runde war der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Bei dem Treffen der drei Politiker soll es insbesondere um die Migrations- und Asylpolitik gegangen sein.
Kommission ohne Friedrich Merz
Bei der Bund-Länder-Kommission zur Migrationspolitik, die auf dem Gipfel vereinbart wurde, wird Merz zukünftig jedoch weder in seiner Funktion als CDU-Chef noch als Vorsitzender der Unionsfraktion mit am Verhandlungstisch sitzen. In der Kommission vertreten sein werden dafür aber einige der schärfsten Rivalen von Merz innerhalb der CDU, etwa Hendrik Wüst, Boris Rhein und Daniel Günther, die CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Hessen und Schleswig-Holstein. Allen drei werden regelmäßig Ambitionen nachgesagt, in Konkurrenz zu Merz Spitzenkandidat der Union bei der Bundestagswahl 2025 werden zu wollen.
Kurz nach dem Treffen der Ministerpräsidenten erteilte Merz weiteren Gesprächen mit Scholz zu einem Deutschlandpakt zum Thema Migration eine Absage. Dabei wies er darauf hin, dass bei einer Suche nach Lösungen der Bundestag nicht umgangen werden könne. „Bei der gesamten Gesetzgebung im Bereich Asyl und Einwanderung bis hin zum Staatsbürgerrecht ist ausschließlich der Bund der Gesetzgeber – da ist ein Deutschlandpakt nur denkbar und möglich, wenn die Bundesregierung mit dem Bundestag eine breite Übereinstimmung findet in den entsprechenden Fragen“, so Merz.
Der CDU-Chef merkte zudem an, die Bund-Länder-Runde sei für einen Deutschlandpakt zu Asylfragen der „falsche Ort“. Dafür wäre es notwendig, im Bundestag Übereinstimmung zu finden, so Merz. Nach Angaben von Merz hatte er Scholz angeboten, eine Arbeitsgruppe zum Deutschlandpakt Migration zwischen der Unionsfraktion und der Regierung zu bilden. „Das hat die Bundesregierung abgelehnt, und damit ist das Thema Deutschlandpakt zum Thema Migration aus meiner Sicht erledigt“, so Merz.
Rivalität um die Kanzlerkandidatur
Im Kontrast dazu steht die Bewertung des Bund-Länder-Gipfels durch Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) oder den hessischen CDU-Ministerpräsidenten Rhein. Der Hesse lobte: „Wir sind einen guten Schritt vorangekommen, damit sind wir zufrieden.“
Die Entscheidung von Rhein, in Hessen das Modell Schwarz-Grün nicht fortzusetzen und lieber eine Koalition mit der SPD zu schließen, wird von einigen Kommentatoren nun allerdings wieder als Rückenwind für Merz gewertet. Die Absage an die Grünen als Regierungspartner liege genau auf der Linie des Parteichefs, so die Diagnose. Unabhängig davon kann die Koalitionsentscheidung der Hessen-CDU unter Rhein aber auch als ein Signal an die SPD und an Scholz gesehen werden.
Bereits im September brodelte in Berlin nämlich die Gerüchteküche und es wurde kolportiert, dass Scholz Grüne und FDP als Koalitionspartner aus der Regierung schmeißen und stattdessen lieber eine Große Koalition mit der Union bilden wolle. Ganz selbstverständlich wurde bei diesen Spekulationen angenommen, die Union würde mit Merz den Vizekanzler stellen. Der Bund-Länder-Gipfel im Kanzleramt deutet allerdings darauf hin, dass einige CDU-Länderchefs in Konkurrenz zu Merz eigene Ambitionen hegen.


