Luxemburg zählt zu den reichsten Staaten der Welt, allerdings auch zu denen mit den höchsten Mieten und Immobilienpreisen. Das hatte schon seit Jahren die Anzahl der Obdachlosen und Wohnungslosen in dem Großherzogtum in die Höhe schnellen lassen. Seit einigen Wochen wird das Heer der Obdachlosen durch eine neue Gruppe verstärkt: Es sind männliche alleinstehende Asylsucher, die schon in einem anderen EU-Land registriert waren, sogenannte Dublin-Fälle.
Die Immigranten haben seit dem 23. Oktober keinen Anspruch mehr auf ein Bett in einem der überfüllten Flüchtlingsheime in Luxemburg. Getroffen hat diese gegen das EU-Recht gerichtete Entscheidung der Außen- und Immigrationsminister Jean Asselborn. Nach den immer noch gültigen Dublin-Regeln müssen Asylsucher in dem Land ihren Erstantrag stellen, wo sie zuerst europäischen Boden betreten haben.
Da Luxemburg ein Binnenland ist mit ganz wenigen internationalen Flugankünften von außerhalb der Europäischen Union, hatte es jedoch bislang darauf verzichtet, die Dublin-Regeln strikt anzuwenden, zumal sich in der ganzen EU seit der Massenzuwanderung von 2015 fast kein Land mehr daran hält. Einige Länder wie Ungarn, Polen oder Dänemark verfolgen seit damals das Prinzip der Null-Zuwanderung. Andere Länder wie Italien, die Schweiz oder Frankreich winken vermehrt Asylsucher durch oder schrecken sie immer mehr ab.
Ein Offenbarungseid
Zuletzt hatte auch Belgien vor einigen Monaten die Notbeherbergung für männliche alleinstehende Immigranten eingestellt. Seitdem vermehrten sich um den Brüsseler Hauptbahnhof herum täglich die Zelte mit obdachlosen Asylsuchern. Im September wurden die Zelte in Brüssel deutlich weniger, weil immer mehr obdachlose Asylsucher nach Luxemburg weiterzogen – zumeist sind es frankophone Afrikaner – und dort einen Asylantrag stellten. Seit Oktober gibt es auch um den Luxemburger Hauptbahnhof und unter den Brücken der Stadt immer mehr Zelte mit obdachlosen Asylsuchern. Deshalb zog der zuständige Minister Asselborn auf einmal die Notbremse und gestand das Scheitern einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik ein.
Was Asselborn nicht zugab, ist jedoch, dass es nicht eine unsolidarische EU-Asylpolitik ist, die ihn jetzt zum Offenbarungseid gezwungen und dazu geführt hat, dass asylsuchende Männer inzwischen unter Brücken schlafen müssen. Asselborns Partei, die sozialistische LSAP, ist seit fast 20 Jahren, mehr als jede andere Partei, in verschiedenen Koalitionen an der Regierung. Deshalb war auch Asselborn dienstältester Außenminister der EU. In diesen zwei Jahrzehnten haben sich Luxemburgs Wohnungsprobleme nicht verringert, sondern noch vergrößert. Viele Luxemburger ziehen vermehrt ins benachbarte Ausland, um eine bezahlbare Wohnung zu finden. Das können die Zuwanderer nicht, weil sie dadurch ihren Status verlören.
Heer an obdachlosen Asylsuchern
Asselborn hält sich zwar zugute, als zuständiger Minister den Bettenbestand in den Notunterkünften für Zuwanderer in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt zu haben. Er hat allerdings nicht dafür gesorgt, dass in den letzten fünf Jahren viele Asylsucher eine Unterkunft auf dem freien Wohnungsmarkt gefunden haben. Die meisten der seit 2015/16 im Großherzogtum angekommenen Immigranten, auch wenn sie mittlerweile Aufenthaltsrecht und auch Arbeit haben, wohnen immer noch in Behelfsstrukturen, weil auf dem freien Wohnungsmarkt inzwischen nichts mehr zu finden ist.
Die Kapazität von 7000 Plätzen in den Notunterkünften geht jedoch langsam zur Neige, die eiserne Reserve von 500 Plätzen wird dort inzwischen Familien mit Kindern vorbehalten. Die Warnungen der Flüchtlingsverbände vor diesem aufgeschobenen Problem hatte Asselborn überhört. Demnächst wird er dieses seinem Nachfolger von der neuen bürgerlichen christsozialen liberalen Regierung aufbürden. Dass dies jetzt gerade vor Beginn des Winters passiert, ist besonders tragisch, weil sich in der kalten Jahreszeit auch die Wohnungsnot insgesamt vergrößert und mancherorts in Luxemburg bereits Zeltstädte für einheimische Wohnungslose aufgebaut werden.
Um Asselborn, viele Jahre bekannt als guter Redner und gern gesehener Gast auch in deutschen Talkshows, ist es mittlerweile ruhig geworden. Mit ihm geht das Zeitalter der blauäugigen, realitätsfernen Migrationsidealisten, von denen es auch in Deutschland immer noch viele gibt, auch in Luxemburg zu Ende.


