Das war eine Überraschung, mit welcher Leichtigkeit Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein seinen grünen Koalitionspartner in die Wüste geschickt hat, um künftig mit der schwer gerupften SPD weiterzuregieren. Schwarz-Grün galt schließlich bis vor Kurzem noch als Traumbündnis für Unionspolitiker, die nach einem „fortschrittlichen“ Image gierten.
Schluss, vorbei. Mit einem Male riechen die Grünen nicht mehr nach Aufbruch und Zukunft, sondern nach Einbruch und Vergangenheit. Es sieht ganz danach aus, dass Hessen nicht bloß ein lokaler Ausrutscher war, sondern eine tatsächliche „Zeitenwende“ markiert. Also nicht so eine, wie sie Kanzler Scholz Ende Februar 2022 verkündet hat, sondern eine echte.
Aber wer hat diese Wende bloß eingeleitet? Hat eine machtvolle Opposition ihr Haupt erhoben und drückt die Regierung mit dem Rücken an die Wand? Ziehen Millionen aufgebrachter Bürger durch die Straßen und bringen die Verhältnisse zum Tanzen? Nichts davon, und das macht die Sache so anstrengend und vor allem so bedrohlich für die Herrschenden. Denn die Opposition könnte man angreifen. Und wie man unzufriedene Bürger auf der Straße unters Joch zwingt, haben die Herrschenden ausgiebig geübt: Man beschimpft sie einfach als Rechtsradikale, wie zuletzt erfolgreich durchgezogen bei den Protesten gegen die Corona-Politik.
Also, wer steckt hinter der „Wende“? Wir staunen: Es ist die Wirklichkeit selbst, die mit Macht die Tür eingetreten hat. Und der ist es leider vollkommen schnuppe, ob man sie als „Nazi“ beschimpft, einer Medienkampagne aussetzt oder ihr in ausgefeilten Studien „nachweist“, dass sie im Irrtum sei („Folgt der Wissenschaft!“). Sie macht einfach ihr Ding, punkt.
Was die fiese Wirklichkeit nun mit Wucht in Trümmer legt, sind die sogenannten Narrative, also die ideologischen „Erzählungen“ all der Jahre, als Grünlinks die Richtung von Gesellschaft und Politik vorgab. Beispielsweise, dass die „Energiewende“ den Strom angeblich sauberer und billiger macht und uns in ein „grünes Wirtschaftswunder“ führt.
Der Strom kommt jetzt zu einem großen Teil aus Braunkohle und macht die schicken E-Autos so zu Dreckschleudern. Und die deutsche Industrie wird rasant zerlegt. Und was ist mit der Erzählung, dass mit Bürgergeld und Kindergrundsicherung alles gerechter wird? Die Wirklichkeit sagt: Wer jetzt noch in den unteren und zunehmend auch in den mittleren Einkommensgruppen arbeitet, ist der Veräppelte. Gerecht?
Dann hat man die Trans-Bewegung zur Krone der Emanzipation erklärt. In Wahrheit durchkreuzt sie jahrzehntealte Errungenschaften der Frauenbewegung, wenn männliche Berufssportler sich flugs zur Frau erklären und damit biologische Frauen aus dem Wettbewerb schmeißen können.
Ein besonders gehegtes Thema des grünlinken Narrativs war die Erzählung vom „grassierenden Rassismus“ der Deutschen, unter dem die Immigranten ganz schrecklich leiden. In Krimis lief das dann immer so ab, dass zunächst ein Immigrant verdächtigt wird (Rassismus!), bis sich am Ende ein fieser Germane (deutsche Täter!) als Schuldiger erwies. Nun knallt uns die Wirklichkeit die Kriminalstatistik auf den Tisch, laut der Deutsche viermal so oft Opfer von Ausländerstraftaten werden wie Ausländer Opfer von Straftaten, die Deutsche begangen haben. Wobei alle Doppelstaatler oder kürzlich ganz Eingebürgerte natürlich als Deutsche gelten, selbst wenn sie in ihrer Lebenswirklichkeit mit dem Deutschsein absolut nichts anfangen können (oder wollen). Ist das Rassismus? Dann fragt sich, wer gegen wen?
Dann ist irgendetwas passiert
Wie war das noch mit der Erzählung von der dringend benötigten Facharbeiter-Einwanderung, die unsere Renten sichert? Eher plündert die Einwanderung unsere Sozialkassen, sagt die Wirklichkeit. Rund die Hälfte der Bürgergeldempfänger sind nämlich Ausländer.
Ja, ja, höre ich. Aber das ist doch alles nicht neu. Das wusste jeder, der es wissen wollte. Tatsächliche hatte die Wirklichkeit schon lange an die Tür geklopft. Nur konnten die Herren des Narrativs das Geklopfe immer wieder durch lautes Gebrüll übertönen und einen Schwall von Kampagnen lostreten, die dafür sorgten, dass viele Menschen glaubten, sich das Klopfgeräusch bloß einzubilden. Oder sich zumindest nicht trauten, vom Gehörten zu erzählen.
Wenn alles nichts half, lag der dunkle Schatten der deutschen NS-Geschichte als Wunderwaffe bereit, um die Herrschaft des grünlinken Narrativs zu sichern. So konnten selbst die Silvester-Exzesse und die radikal-islamischen Massaker von Paris bis Berlin in den Jahren 2015 und 2016 an der Herrschaft der grünlinken Ideologie nicht rütteln. Nach ein bisschen Hin und Her konnte die Wirklichkeit, die da krass und blutig hereingeplatzt war, wieder aus dem Debattenraum geschoben werden – und es ging weiter, als sei nichts geschehen.
Kürzlich aber muss irgendetwas passiert sein, das alles verändert hat. Zunächst hatten die Grünen im Rausch ihrer Macht seit 2021 den Turbo angeschmissen, woraufhin die verheerenden Folgen ihrer Wirklichkeitsverachtung in vorher nie gekannter Schnelligkeit spürbar wurden. Dann überrollten neue Immigrantenwellen die offenen Grenzen, und schließlich ließ das Pogrom vom 7. Oktober die starre Aufteilung der Welt in Opfer- und Tätergruppe aufs Grausamste kollabieren. Wobei zu beachten ist, dass diese Aufteilung das festeste Fundament der Narrativ-Verkünder war, weil es ihnen ermöglichte, jeden Anflug der Wirklichkeit „moralisch“ zu parieren.
Das ist nun ziemlich schwierig geworden und kann sogar fürchterlich ins Auge gehen, was sogar Angela Merkel zu schmecken bekam, die (als eigentlich Grüne an der Spitze der entmannten Schwarzen) die Narrativ-Bewegung lange anführte. Den 9. November nutzte die Altkanzlerin für eine Warnung vor aufflammendem Antisemitismus. Die Antwort aus der Tiefe des Publikums war die Frage, wer die grölenden Judenhasser auf unseren Straßen denn so massenhaft ins Land gelassen habe. Na? Wenn jetzt noch Claudia Roth vor Judenhass warnen sollte, wird es keine Sekunde dauern, bis jemand „Documenta“ sagt.
Allerdings soll niemand glauben, dass wir mit der Machtübernahme der Wirklichkeit die Idiotenherrschaft der Narrativ-Verkünder bereits überstanden hätten. Historiker sprechen von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, heißt: Auch aus der Zeit Gefallenes kann jederzeit noch einmal zurückkommen, und zwar in vielerlei Gestalt, etwa in dieser hier: Während unsere Polizei durch Schuld der Politik auf unseren Straßen und an unseren Grenzen völlig am Limit kämpft, will die Ampel die Beamten nun noch mit einer Spitzelbehörde unter einem „Bundespolizeibeauftragten“ heimsuchen. Indes: Auch, dass sie kurz vor ihrem Ende noch einmal grotesk überdrehen, gehört zu den historischen Charakteristika scheiternder Regentschaften.


