Die Bundesregierung hat viele Baustellen – zu viele, wie es aussieht. Und die aktuelle Haushaltssperre des Finanzministers nach der Klatsche aus Karlsruhe wegen unzulässiger Etatverschiebungen hat die Situation verschärft. Da Russland sich mehr für invasive Geopolitik Richtung Westen interessiert als für Klimapolitik, hatte Berlin abgekündigt, die über Jahrzehnte missachtete Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro zumindest ansatzweise auf Vordermann zu bringen: mehr Material, mehr Munition, mehr Personal.
Während die Rüstungsindustrie sich sukzessive hochfahren lässt – auch wenn es lange dauert, ist die Personalfrage für eine kriegstüchtige und verteidigungsbereite Armee ein Nadelöhr. Seit Abschaffung der Wehrpflicht setzt der Bund alle Hebel in Bewegung, um Rekruten anzuwerben. Doch bei schlechter Bezahlung, noch schlechterem Image und politischer Pauschalverdächtigung von links fanden die vergangenen weiblichen Verteidigungsminister nicht die rechten Hebel. Während seine Vorgängerinnen bei Ansprachen mit den Formulierungen „Frauen und Männer der Bundeswehr“ sowie „Soldatinnen und Soldaten“ Distanz zu ihren Untergebenen bewiesen, hat der Gediente Boris Pistorius sich schnell dankbaren Respekt erarbeitet, allein schon, indem er seine Untergebenen mit „Kameradinnen und Kameraden“ anspricht.
Doch Respekt allein genügt nicht. Wer Deutschland kriegsfähig bekommen möchte, muss die Armee auch personell ausbauen. Derzeit beziehen in Deutschland 183.000 Soldaten ihren Sold. Bis 2031 sollen es 203.000 werden. Ohne Wehrpflicht gehe das nicht, benennt der Chef des Reservistenverbands, Patrick Sensburg, eine konsequente Lösung. Dass sich die Bundesregierung bei dem Thema Wehr- oder Allgemeine Dienstpflicht schwertut, ist kaum nachvollziehbar. Denn der Personalnotstand ist auch in der Pflege und anderen sozialen Bereichen gewaltig. Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage des ZDF im Mai haben 73 Prozent der Befragten sich für ein Pflichtjahr bei der Bundeswehr oder im sozialen Bereich ausgesprochen. Sogar bei jungen Menschen unter 30 war die Zustimmung mit 64 Prozent beachtlich hoch.
Der Rückkehr zum Dienst für Deutschland kann selbst der nicht immer die ideale Haltung findende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier etwas Gutes abgewinnen. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz die Dienstpflicht zu Beginn des Jahres noch „nicht auf der Tagesordnung“ sah, zeigt angesichts des russischen Krieges in die Ukraine und der Drohungen gegen den Westen weder Weitblick noch Sinn für das Gemeinwohl. Denn genau das wird offenbar von einer Mehrheit der Deutschen eingefordert. BK


