Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien wurde unter anderem die Schaffung eines neuen Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit angekündigt. Allerdings stellte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seine Pläne für dieses Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) erst jetzt der Presse vor.
Hauptaufgabe des BIPAM soll die Verlängerung der Lebenserwartung der Deutschen sowie die Senkung der Kosten im Gesundheits- und Sozialbereich durch die Verhütung oder Bekämpfung von nicht übertragbaren Krankheiten wie Krebs, Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein. Dazu will Lauterbach dem BIPAM, dessen Gründung für den 1. Januar 2025 vorgesehen ist, die Möglichkeit geben, in großem Umfang auf Gesundheitsdaten der Bevölkerung zurückzugreifen und die Vernetzung der öffentlichen Gesundheitsdienste voranzutreiben.
BIPAM würde über RKI rangieren
Mit der Etablierung des BIPAM wird die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in dem neuen Institut aufgehen, während das Robert-Koch-Institut (RKI) weiterbestehen kann, aber künftig nur noch für die Abwehr von Infektionskrankheiten zuständig zeichnet. Damit rangiert das BIPAM faktisch über dem RKI, weil sein Aufgabenbereich deutlich umfassender ist.
Vor diesem Hintergrund besitzt auch die Person des Beauftragten für die Errichtung des neuen Bundesinstitutes eine erhebliche Relevanz. Hierbei handelt es sich um den bisherigen Leiter des Kölner Gesundheitsamtes Johannes Nießen. Der Facharzt für Allgemein- und Sozialmedizin fungiert zugleich auch als Chef der BZgA und Vorsitzender des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). In der Vergangenheit gehörte er außerdem dem Corona-Expertenrat der Bundesregierung an und trat dabei als ausgesprochener Hardliner in Erscheinung.
Chef soll ein Corona-Hardliner werden
So opponierte Nießen bis zuletzt gegen die Aufhebung der Corona-Maßnahmen. Außerdem forderte er eine straffe Bündelung der Verantwortung für die Corona-Politik in den Händen einiger weniger Politiker und monierte später die Entscheidung, „den Infektionsschutz in die Hand der Parlamente zu geben und nicht mehr bei den Landesregierungen zu lassen“. Die Personalie Nießen spielte daher eine wesentliche Rolle, als dem Corona-Expertenrat vorgeworfen wurde, vorrangig nach politischen statt nach wissenschaftlichen Kriterien zu arbeiten.
Andererseits entzündet sich die nunmehr laut werdende Kritik an dem geplanten BIPAM weniger an dessen Errichtungsbeauftragten als an anderen Dingen. Beispielsweise befürchten die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und die Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) angesichts des Institutsnamens eine zu starke Fokussierung auf das Medizinische.
Dabei lägen viele Ursachen für Krankheit und Tod gar nicht im medizinischen Bereich, sondern in „gesundheitsschädlichen Umwelt- und Lebensbedingungen, die auch das Gesundheitsverhalten wesentlich bestimmen“. Wirksame Prävention erfordere deshalb den ressortübergreifenden Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Der Koalitionsvertrag habe hier „einen großen Sprung nach vorne versprochen“, doch „mit dem jetzigen Konzept besteht … die Gefahr eines Rückschritts“, stellte der DGPH-Vorsitzende Ansgar Gerhardus fest.
Gegner kritisieren zu starke Fokussierung auf Medizinisches
In die gleiche Richtung zielen auch Äußerungen von Vertretern des Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin (EbM), zu dessen Gründungsmitgliedern 1998 Lauterbach selbst gehörte. Die aktuellen Pläne des Bundesgesundheitsministeriums gingen „konzeptionell in die falsche Richtung“, weil sich das BIPAM vorrangig auf individuelle medizinnahe Präventionsmaßnahmen konzentrieren solle, anstatt dort anzusetzen, wo man am effektivsten zur Verbesserung der Lebensbedingungen benachteiligter Bevölkerungsgruppen beitragen könne.
In diesem Zusammenhang verwies das EbM unter anderem auf die vom Gesundheitsministerium favorisierten Cholesterin- und Diabetes-Screenings: Mit solchen „wissenschaftlich mehr als fragwürdigen“ Aktionen, deren Wirksamkeit bislang niemand durch kontrollierte Studien habe nachweisen können, verstärke man lediglich „die Medikalisierung der Gesellschaft“, ohne dadurch zugleich die Volksgesundheit zu ver-bessern.
Zudem stört sich das EbM an der direkten Anbindung des Instituts an das Gesundheitsministerium, weil diese die Gefahr berge, „dass politisch opportune, aber wissenschaftlich fragliche Maßnahmen gegenüber politisch unbequemen, aber inhaltlich richtigen Vorschlägen bevorzugt werden“.


