Bis Ende 2024 sollen die gesetzlich Krankenversicherten in der Bundesrepublik eine elektronische Patientenakte (ePA) erhalten, in der alle sensiblen Gesundheitsdaten gespeichert sind. So sehen es das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatengesetz vor. Allerdings ist das nunmehrige Lieblingsprojekt von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht unumstritten.
Datenschützer bemängeln vor allem die Gefahr der Infizierung der ePA mit Viren oder Trojanern und damit des Datendiebstahls und Datenverlustes beziehungsweise der Datenmanipulation. Außerdem sollen die ePA-Daten auch an das neue Forschungsdatenzentrum Gesundheit des dem Gesundheitsministerium unterstehenden Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn sowie an Wissenschaftler und Pharmaunternehmen gehen. Deshalb war es wichtig, dass Lauterbach im März versprach, jedes Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung werde das Recht erhalten, die Einrichtung einer ePA für seine Person abzulehnen. Die Realität dürfte jedoch anders aussehen, weil die elektronische Patientenakte letztlich unter EU-Recht fällt.
Vor einigen Tagen haben die Mitglieder des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres sowie des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europaparlaments einen Entwurf zur ePA gebilligt, in dem von sogenannten Primär- und Sekundärdaten die Rede ist, die in der Akte gespeichert werden sollen. Zu den Primärdaten gehören die Krankengeschichte, die Rezepte, die Laborergebnisse und das bei Untersuchungen entstandene Bildmaterial, während Ansprüche gegenüber den Krankenkassen, Kostenerstattungen und ähnliches zu den Sekundärdaten zählen. Der nun zur Abstimmung an das Plenum des Europäischen Parlaments weitergereichte Entwurf sieht vor, dass die Patienten lediglich der Weitergabe und Verwertung von Sekundärdaten widersprechen können.
Dennoch feierte die EU die geplante „Schaffung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums“, weil dieser „den Bürgern die Kontrolle über ihre persönlichen Gesundheitsdaten ermöglicht“ und „die Gesundheitsversorgung auf nationaler und grenzüberschreitender Ebene verbessert“. Dahingegen wandten Kritiker wie der Bürgerrechtler und Jurist Patrick Breyer ein: „Das ist nichts anderes als das Ende des Arztgeheimnisses.“
Lauterbach wiederum hat seine Zusagen vom März nicht erneuert, sondern in einem Presseartikel anlässlich bevorstehender vertraulicher Gespräche zwischen der Bundesregierung und Spitzenvertretern der Pharmabranche appelliert: „Die Pharmaindustrie braucht Daten.“ Dabei wird deren Weitergabe nicht nur den Vertretern der Gesundheitswirtschaft Vorteile und neue Gewinne verschaffen, sondern auch den US-amerikanischen Technologiekonzernen, auf deren Servern die Patientendaten der Europäer landen sollen.
Ein Stopp dieses Vorhabens dürfte mittlerweile unmöglich sein – es sei denn, das Plenum des EU-Parlaments stimmt noch dagegen.


