09.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
03.07.99 Erinnerung an die Große Schlacht

© Das Ostpreußenblatt    / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Juli 1999


Erinnerung an die Große Schlacht
Einweihung des deutschen Kriegsgräberfriedhofes in Bolsche Rossoschka
Horst Zank

Nachdem ich in den vergangenen Jahren mehrmals die Gelegenheit hatte, das ehemalige Kampfgebiet der 6. Armee zwischen Don und Wolga aufzusuchen, und dabei immer wieder betroffen feststellen mußte, in welchem Zustand sich dort die für unsere gefallenen Kameraden angelegten Friedhöfe befanden und wie man nur fassungslos als Folge geplünderter Gräber nach über 50 Jahren vor im Gelände verstreuten Gebeinen stehen mußte, war es immer eine Hoffnung und besonderer Wunsch geblieben, die Fertigstellung des wohl einzigen zentralen deutschen Sammelfriedhofes im Raum Stalingrad noch erleben zu können.

Dies auch gerade deswegen, weil ich die Arbeiten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VdK) zur Errichtung dieses Friedhofes am Rand des ehemaligen Dorfes Bolsche Rossoschka wiederholt vor Ort verfolgen konnte. Dazu kam auch noch, daß ich nicht weit davon entfernt mit meinem Grenadier-Regiment 673 in schweren, verlustreichen Abwehrkämpfen an der Westfront des Kessels von Stalingrad eingesetzt gewesen war.

Im März 1994 erlebte ich nun, wie dort in der Kolchose Rossoschka der Volksbund im Zug der Vorbereitungen die Bevölkerung über den geplanten Friedhof unterrichtete und in einer anschließenden Aussprache auf eine überwiegend positive Resonanz, nicht zuletzt bei den anwesenden russischen Veteranen, gestoßen war.

Bei winterlichem Wetter und eisigem, über die verschneite Steppe fegendem Wind – wie damals im Kessel Stalingrad – konnte ich dort mit Kameraden des Bundes ehemaliger Stalingradkämpfer an einem kleinen Birkenkreuz in unmittelbarer Nähe dieser Kolchose einen Kranz niederlegen. An dieser Stelle, in einem Bogen des Flüßchens Rossoschka, war ein Gräberfeld ausgemacht worden, das von dem Hauptverbandplatz (HVP) der in diesem Abschnitt eingesetzten 76. InfDiv angelegt worden war. Es sollte den Kern für die geplante Anlage eines Kriegsgräberfriedhofes bilden, in die gefallene Soldaten aus dem gesamten Gebiet Stalingrad umgebettet werden.

Jetzt – im Mai 1999 – war nun dort eine eindrucksvolle, schlichte, in die Steppe eingepaßte Kriegsgräberstätte entstanden und zugleich unmittelbar gegenüber eine russische Gedenkstätte. Hier haben inzwischen über 20 000 deutsche Soldaten eine würdige letzte Ruhestätte gefunden. Die baulichen Voraussetzungen werden aber noch weitere Umbettungen zulassen – bis über 40 000 Toten wird so dazu verholfen werden, ebenfalls ein Grab im Kreis ihrer Kameraden zu erhalten. Leider wird davon aber nach wie vor ein größerer Teil nicht mehr zu identifizieren sein.

Alles, was ich dort im Rahmen der Einweihung dieses Friedhofes an Veranstaltungen und Begegnungen erleben konnte, hat mich nicht nur nachhaltig beeindruckt, sondern auch mit Dankbarkeit und Genugtuung im Gedenken an die Stalingrader Kameraden erfüllt, die glaubten, in treuer Pflichterfüllung – "bis zur letzten Patrone" – kämpfen zu müssen, dann dort oder in der anschließenden Gefangenschaft ihr Leben verloren haben.

Dieser Friedhof Rossoschka ist ein unschätzbarer Beitrag dafür, dieses einmalige Geschehen und deren Opfer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ein schlichtes Kreuz und Tausende von Namen an der Umfassungsmauer um das kreisrunde Gräberfeld werden uns ein Ort der Besinnung werden und bleiben. In erster Linie sicher für Angehörige, die immer wieder nach Stalingrad-Wolgograd kommen. Über 700 waren es, die jetzt diesen Friedhof in der Steppe zwischen Don und Wolga mit stillen, gemeinsamen Gebeten eingeweiht haben. Noch einmal erklang das Lied "Ich hatt’ einen Kameraden".

Alle ursprünglich vorgesehenen, dann aus politischen Gründen abgesagten offiziellen Einweihungszeremonien gerieten darüber schnell in Vergessenheit. Dazu trugen auch Veranstaltungen bei, die die Anteilnahme, Unterstützung und Versöhnungsbereitschaft von russischer Seite in einer bisher kaum für möglich gehaltenen und erlebten Form unvergeßlich gemacht haben.

Einmal betraf es das Panorama-Museum – das herausragende Museum in Wolgograd zur Erinnerung an die "Große Schlacht von Stalingrad". Hier war gerade ein besonderer Ausstellungsraum eingerichtet worden, der der Erinnerung an die deutschen Soldaten in Stalingrad gewidmet ist. Zahlreiche dazu geeignete Dokumente, bisher im Archiv des Museums gelagert, wurden nun allgemein zugänglich gemacht. Dazu gehören insbesondere Feldpostbriefe, die nicht mehr aus dem Kessel von Stalingrad herausgebracht werden konnten, infolge glücklicher Umstände wenigstens zu einem Teil vor einer Vernichtung bewahrt geblieben sind. Dieser Museumsraum in Wolgograd dürfte bisher einmalig in einem russischen Armee-Museum sein. Dabei hat sich die Leiterin des Archivs, Lora Fedorowna Petrowna, besonders verdient gemacht.

Dieser Raum war nun der beste Platz für die Übergabe von 14 Bänden mit den Namen der in Stalingrad gefallenen und vermißten deutschen Soldaten an den Direktor des Museums, Boris G. Usik, durch den Präsidenten des VdK, Karl-Wilhelm Lange, und weitere Vorstandsmitglieder. Als ehemaliger Stalingradkämpfer hatte ich ebenfalls die Ehre, einen Band an Herrn Direktor Usik übergeben zu können, dessen Wunsch nach Unterlagen über deutsche Soldaten in seinem Museum mir ohnehin bekannt war. Diese Zusammenstellung von rund 120 000 Namen ist ein Verdienst des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und wird nun in diesem Wolgograder Museum ein geschichtliches Dokument darstellen.

Ein weiterer Höhepunkt war in diesen Tagen ein Symphoniekonzert in der Wolgograder Konzerthalle. Dabei kam die Symphonie Nr. 10 "Letzte Briefe aus Stalingrad" für Sprecherin, Sopran und Orchester des französischen Komponisten Aubert Lemeland zur russischen Erstaufführung. Es spielte das Wolgograder Akademische Symphonieorchester unter der Leitung des auch international gut bekannten Dirigenten Eduard Serow.

Als Sprecherin der in diese zwar moderne, aber doch auch klassisch angelegte und nachhaltig ergreifende Komposition integrierten "Briefe aus Stalingrad" überzeugte eine zur Zeit in Moskau studierende junge deutsche Künstlern – Elke Maria Klusmann –, deren Großvater in Stalingrad gefallen ist. Den zweiten Teil eines für einen ehemaligen Stalingradkämpfer einmaligen künstlerischen Erlebnisses am Ufer der Wolga bildete die Symphonie Nr. 6 h-Moll (Pathétique) von Peter Iljitsch Tschaikowski. Als Hintergrund auf der Bühne des mit über tausend deutschen und russischen Zuhörern voll besetzten Konzertsaales diente die "Madonna von Stalingrad".

Diese inzwischen längst zum Stalingrad-Symbol gewordene Madonna, die der Stabsarzt Dr. Kurt Reuber in der Weihnachtsnacht 1942 im Kessel von Stalingrad auf der Rückseite einer Landkarte für seine verwundeten Soldaten gezeichnet hatte, war auch die Inspiration für ein modernes Oratorium: "Musik aus Stalingrad" für Orgel, Solisten, Chor und Streichquartett, das in der wiedererstandenen St. Nikolai-Kirche in Wolgograd zwei Tage später aufgeführt wurde. Hier hatte der Komponist Wladimir Kisseljow, Organist an dieser Kirche, eine Versöhnungsmesse mit Briefzitaten deutscher Soldaten zu einer Mahn- und Friedensbotschaft verwoben.

Nach über 50 Jahren musikalische Werke französischer und russischer Komponisten erleben zu können, in deren Mittelpunkt Briefe deutscher Soldaten aus Stalingrad stehen, ist allein schon ein bisher unvorstellbares Erlebnis gewesen. Und das dann auch noch unmittelbar in dem heutigen Wolgograd. Dabei bleibt der Vergleich nicht aus, was wir als Angehörige der ehemaligen Stalingrad-Armee heute im eigenen Land an Diffamierungen und Verleumdungen erleben müssen. Aber wir sind eben nur noch ein kleiner Rest, der den aussichtslos gewordenen Kampf in den Trümmern dieser Stadt und die anschließende Gefangenschaft überlebt hat und sich für alle die Kameraden zu Wort melden kann, denen dieses Glück nicht vergönnt gewesen ist.

Bezeichnenderweise gehörten zu diesen Tagen in Wolgograd und in Rossoschka längst selbstverständlich gewordene Begegnungen mit russischen Veteranen. Auch sind es weniger geworden, die einst uns gegenüber eingesetzt gewesen waren und die die in den vergangenen Jahren angebahnte Verständigungs- und Versöhnungsbereitschaft mitgetragen haben. Die jetzt in Rossoschka unmittelbar gegenüberliegende russische Kriegsgräberstätte mit dem sie verbindenden Weg hat dafür ein deutliches Zeichen gesetzt.

Aber auch für die Zukunft gab es weitere Anzeichen für eine nur zu begrüßende Entwicklung bei der Jugend unserer beiden Länder. Dafür sorgte ein vom Volksbund durchgeführtes deutsch-russisches Jugendlager mit 30 Teilnehmern aus Hannover und Wolgograd. Diese jungen Menschen trugen – zusammen mit einer spontan auftretenden Klasse einer Oberschule aus Wolgograd – mit selbstgefertigten Gebinden für eine der Einweihung dieses Friedhofes und dem Empfinden der angereisten Angehörigen angemessene Ausschmückung bei.

Bei einem abschließenden Zusammensein mit diesen Jugendlichen fühlte ich mich erneut in der Hoffnung bestätigt, daß gerade diese nachwachsende Generation ein steigendes Interesse an dem Schicksal ihrer Großväter erkennen läßt und die zeitgemäße Verteufelung nicht mehr so unkritisch hinzunehmen bereit ist. Dazu gehört auch das Bemühen, mit noch lebenden Zeitzeugen unmittelbar ins Gespräch zu kommen. Alle diese Erlebnisse anläßlich der Einweihung des Friedhofes in Rossoschka mit den unerwartet eindrucksvollen Veranstaltungen haben diesem Aufenthalt in Wolgograd zu einem Höhepunkt verholfen, der angesichts des eigenen Alters als ehemaliger Stalingrader einen wohl kaum noch zu übertreffenden Abschluß eines einmaligen lebensgeschichtlichen Abschnitts darstellen konnte.

Dazu kamen dann auch noch einige Möglichkeiten, ganz persönlichen Spuren in Erinnerung an die Zeit 1942/43 zu folgen. Das war zunächst ein Flug mit einem Hubschrauber der russischen Armee von Wolgograd bis nach Kalatsch am Don und nördlich davon nach Pestkowatka und Wertjatschij. Dabei in unmittelbarem Tiefflug über die wochenlang gehaltenen Stellungen bei Dimitrijewka. Als Abschluß gehörte zu diesem Flug ein eindrucksvoller Blick auf die Friedhofsanlagen Rossoschka.

So waren diese Tage im Mai 1999 mit der Einweihung des deutschen Kriegsgräberfriedhofes in Rossoschka dank der Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge nicht nur für die noch lebenden Stalingradkämpfer, sondern auch für die Angehörigen der dort gefallenen und vermißten Soldaten ein einmaliges, unvergeßliches Erlebnis.

Um so bedauernswerter ist es, daß bisher noch kein einziger führender Politiker unseres Landes es für angebracht gehalten hat, durch persönliche Anwesenheit derer zu gedenken, die einst dort ihr Leben und ihre Gesundheit geopfert haben, und zugleich auch damit das Bestreben zu Verständigung und Versöhnung über den Gräbern zwischen unseren Völkern deutlich werden zu lassen.

Ungeachtet dessen war das Interesse russischer Medien an dieser Einweihung in Rossoschka und dabei auch an deutschen Veteranen und die anschließende Berichterstattung im Fernsehen und in der Presse überraschend groß und positiv.

Kaum ausreichend gewürdigt und schnell vergessen war es dagegen, als bereits im März 1994 der ranghöchste Soldat der Bundeswehr, der Generalinspekteur – damals General Naumann –, anläßlich des ersten offiziellen Besuches der russischen Armee an dem von russischen Ehrenposten flankierten Birkenkreuz in Rossoschka einen Kranz zum Gedenken an die Opfer von Stalingrad niederlegen konnte.

Von Charles de Gaulle, der einst bei seinem Besuch in Wolgograd zur Verwunderung seiner Gastgeber die Leistungen der deutschen Soldaten besonders hervorgehoben hatte, stammt der Ausspruch: "Man erkennt den Charakter eines Volkes auch daran, wie es nach einem verlorenen Krieg mit seinen Soldaten umgeht."

Der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge angelegte Kriegsgräberfriedhof in Rossoschka für die in Stalingrad gefallenen deutschen Soldaten kann angesichts so vieler beschämender Beispiele für den Umgang mit Soldaten der Wehrmacht nicht hoch genug anerkannt werden. So sehen gerade Überlebende dieser vernichtenden Schlacht an der Wolga nach inzwischen über 50 Jahren den Friedhof als Mahnmal für die Erhaltung des Friedens.